Toni Comín : “Gegen Judizialisierung, Internationalisierung!”

Anläßlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers von Mauthausen, nahm der Exil-Minister Toni Comín die Einladung des Triangle blau Àustria an, an der Gedenkfeier teilzunehmen.

Wir bedanken uns bei Toni Comín dafür, dass er uns während seinem 24 Stunden-Aufenthalt in Österreich so viel Zeit opferte und beim triangle blau Àustria dafür, dass uns durch sie die Möglichkeit eines Exklusiv-Interviews angeboten wurde. Hier ist das vollständige Interview, welches auf Facebook bereits in zwei Teilen veröffentlcht wurde und unserer Meinung viel zu schade ist, dass es in einer Timeline untergeht.

 

SCK: Zuerst einmal möchte ich, dass Sie sich jenen Leser*innen vorstellen, die sie vielleicht noch nicht kennen.  

Toni Comín: In meinem Leben hatte ich viele Dinge gemacht, in Wirklichkeit ist mein Beruf theoretisch ja der eines Universitätsprofessors. Die Leser dieses Interviews werden aber interessiert sein, zu erfahren, dass ich ein Mitglied der Regierung war. Jener Regierung, die nach den plebiszitären Wahlen 2015 eingesetzt wurde, die die Mission hatte, dem katalanischen Volk die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung zu ermöglichen und wenn es eine Entscheidung für die Unabhängigkeit gäbe, zu versuchen, dieses Mandat wirksam zu machen. Also bin ich eines der Mitglieder dieser Regierung, die das Referendum im Oktober durchführten und auch eines jener Regierungsmitglieder, die nach dem 27. Oktober beschlossen, ins Exil zu gehen. 

Das tat ich vor allem aus politischen Gründen, auch aus persönlichen, aber hauptsächlich aus politischen. Uns, die wir beschlossen hatten ins Exil zu gehen, schien es, dass das damalige Ziel darin bestand, den Kampf mit dem spanischen Staat aufrechtzuerhalten und, dass die stärkste Position zur Aufrechterhaltung dieses Kampfes außerhalb des Staates lag. 

Am 27. Oktober befand ich mich noch innerhalb des Staates und sah voraus, dass der Staat eine unbegrenzte Welle der Unterdrückung entfalten würde, was durch Tatsachen bestätigt worden ist. Es erschien uns eine Position der Schwäche einzunehmen. Im Gegensatz dazu, waren wir der Meinung, dass wir in Europa, mit all den Möglichkeiten die uns dort in juristischer und politischer Hinsicht geboten wurden, eine stärkere Position vorfinden würden um den Kampf mit dem Staat aufrechterhalten zu können.

Ein Satz, den ich halb im Ernst, halb im Spaß oft verwende ist: “Gegen Judizialisierung, Internationalisierung!” Kannst du dich an die Werbungen von früher erinnern, bei denen schlechte und gute Eigenschaften gegenübergestellt wurden? Gegen “was weiß ich, Ten planta!” (Anm. Übers.: Ten planta: Reinigungsmittel). Gegen bla, bla, bla… Deshalb: “Gegen Judizialisierung, Internationalisierung!”

Sie versuchen, einen politischen Konflikt in den Justizbereich zu überführen. Aus einem sehr einfachen Grund, weil sie denken, dass sie bei einem Urnengang untergehen werden. Sie bringen uns vor Gericht. Ein Problem für das Bewusstsein, dass, wenn dieses Problem vor die Urnen getragen wird, sie verlieren werden, wenn sie es jedoch vor die Gerichte bringen, gewinnen sie.

Die Antwort, die sich meiner Meinung nach im Laufe der Monate als die intelligente erwiesen hat, ist jene der Internationalisierung. Denn sie bedeutet, weiterhin im Feld der Rechtsprechung zu spielen, aber dies in einem neutralen, unparteiischen Bereich, dem europäischen zu tun. So fällt ihre Strategie der Judizialisierung ins Wasser. Jetzt versteht man die Parole vielleicht besser: gegen Judizialisierung, Internationalisierung.

SCK: Sie waren Mitglied der PSC, Partei für die sie sogar Abgeordneter waren. Können Sie mir den Grund nennen, weswegen Sie sich entschieden haben, die Partei 2014 zu verlassen, ein Jahr bevor Sie sich bei den Wahlen mit der Unabhängigkeits-Formation Junts pel Sí aufstellen ließen?

Toni Comín: Das war nicht so, ich war nie Abgeordneter der PSC. Ich war in den sozialen Bewegungen, in der Antiglobalisierungsbewegung, Puerto Alegre, Altermoundialismus, auf der Straße u.s.w.. Pasqual Maragall suchte mich auf da ich eine Organisation von Menschen aus der Zivilgesellschaft, nämlich Ciutadans pel Canvi, gegründet hatte und bildete eine Koalition zwischen dem PSC und Ciutadans pel Canvi (Anm. Übers.: Bürger für die Veränderung). Da habe ich mich als unabhängiger Abgeordneter für Ciutadans pel Canvi aufstellen lassen. Ich war sechs Jahre lang Abgeordneter, aber während dieser Zeit war ich niemals Mitglied der PSC.

Es ist sogar so, dass ich mich dagegen gesträubt hatte, als sie mich wiederholt darum baten, weil ich mein Profil als Unabhängiger behalten wollte. So war das. Später, nachdem eine lange Zeit vergangen war, bat mich Montserrat Tura um Unterstützung, da sie für die Vorwahl für den Stadtrat von Barcelona kandidierte. Sie verlor und der Kandidat war letztendlich Jordi Hereu, gegen den wir gemeinsam mit einer Reihe von Leuten in den Vorwahlen konkurriert hatten. Jordi Hereu verlor die Kommunalwahlen.

So wurde ich, in einer Geste der Brüderlichkeit gegenüber den Leuten die unsere Rivalen bei der internen Vorwahl gewesen waren und die gerade eine Niederlage erlitten hatten, Mitglied der PSC obwohl ich die Politik verlassen hatte.

2010 hatte ich die Politik aufgegeben, aber Mitglied wurde ich 2011. Ich wurde ein Jahr nachdem ich die Politik verlassen und in mein Universitätsleben zurückgekehrt war, Mitglied, fast wie in einer Geste der Brüderlichkeit und der Versöhnung mit den Leuten der PSC, die gerade ihre Wahlen verloren und einen herben Schlag erlitten hatten. Aber schon kurze Zeit, nachdem ich Mitglied wurde, stellte sich immer deutlicher heraus, dass die PSC einen Drift hinlegte, der genau das Gegenteil jener Entwicklung darstellte, die ich und so viele andere Menschen gerade durchmachten.

Nach dem Urteil über das Statut des Jahres 2010 sah ich immer klarer, dass, wenn die PSOE nicht energisch genug reagieren würde, der einzige Ausweg, der übrig bleiben, die Unabhängigkeit sein würde. Wir behielten für eine Weile die Hoffnung, dass die PSOE eine ernsthafte Verpflichtung gegenüber der föderalistischen Route eingehen würde. Aber nach dem Urteil des Statuts war alles, was die PSOE in der Lage zu machen war, die Erklärung von Granada. Ich erinnere mich, dass ich, als die PSOE die Erklärung von Granada abgab, zu mir selbst: "bis hier her und nicht weiter" sagte, denn es war der Beweis, dass die PSOE niemals auf der Höhe der katalanischen Herausforderung sein würde.

Die Deklaration ist die Bestätigung, dass der plurinationale Föderalismus in Spanien nie ankommen wird, denn die Rechte möchte ihn nicht und die PSOE auch nicht. Deshalb wird er nie ankommen und ist eine Utopie, die die Ciutadans pel Canvi und Pasqual Maragall genährt hatten, aber im Grunde genommen war es eine Illusion und in jenem Augenblick sah ich das ganz deutlich.

Das ist der Moment, in dem ich mich entscheide, meine Trauer in Bezug auf die föderale Option, die ich lange mit Begeisterung unterstützt hatte, abzuschließen.

Ich war überzeugt, dass wir Spanien verständlich machen könnten, dass der natürliche Ausweg aus der Situation, in der wir uns befanden, ein plurinationaler Staat war. Jetzt wo ich meine föderalen Hoffnungen und meinen Kampf dafür aufgegeben hatte, nahm ich, auf persönlicher Ebene, die republikanischen oder unabhängigkeitsbefürwortenden Thesen an.

Das ist alles. Das einzige ist, dass ich damals im Radio war und das alles erzählte, denn ich war Professor, lebte ein glückliches und zufriedenes Leben, viel einfacher und bequemer, wenn man in egoistischen Maßstäben denkt, als das jetzige, oder? Mit meinem Unterricht, meinen Schülern und meinen Artikeln. Ich ging ins Radio und berichtete davon und es stimmt, dass es da eine Mitte-links Partei gab, die esquerra republicana de Catalunya heisst, auf mich aufmerksam wurde und um mich warb, so lernten wir uns kennen.

Sie schlugen mir vor für die EU-Wahlen von 2014 zu kandidieren, doch ich lehnte ab. Danach kam der Moment von Junts pel Sí. Da gab es eine Reihe von Menschen, zum Beispiel verbindet mich eine große Freundschaft mit Lluís Llach, die die Liste abschließen sollten, die also nicht antraten um zu kandidieren sondern um die Liste zu vervollständigen, Rupert de Ventós u.s.w. Da sagten wir: "jetzt ist der Moment gekommen einen Schritt zu wagen, da wenn eine einheitliche Bewegung für die Republik im Entstehen ist, es Sinn macht daran teilzunehmen." Als man mir vorschlug in der Liste von Junts pel Sí aufzuscheinen, sagte ich deshalb: “Ja!” Ich hatte aber dabei nicht die geringste Ahnung, dass sie mir vorschlagen würden, mich an der Regierung zu beteiligen und das war auch erst danach.

Die Zusammenfassung lautet also, dass ich niemals Abgeordneter der PSC war, denn als ich Abgeordneter war, war ich kein Parteimitglied. Und als ich Parteimitglied war, war ich kein Abgeordneter. Ich habe niemals viel Energie dafür verschwendet die Kohärenz meiner Laufbahn zu rechtfertigen, da es mir damit reicht, dass ich sie kenne. 

Doch was geschieht ist, dass dann Gerüchte entstehen und ich habe auch nie viel Energie in die Auflösung dieser Gerüchte investiert, doch wenn man mich fragt, erkläre ich es. Aber ich möchte sagen, dass es mir nicht viel ausmacht, denn die Medien sind die Welt der Diffamierung und mir ist es ein bisschen egal was die Menschen denken. Wenn mich die Leute fragen, werde ich es erklären, aber das Wichtigste ist, auf der Höhe des historischen Moments zu sein.

SCK: Was erwarten sie sich durch die Unabhängigkeit zu erreichen? 

Toni Comín: Also gut, ich glaube, dass ich zu jenem Teil des Unabhängigkeitslagers gehöre, der die Unabhängigkeit als eine instrumentelle Frage betrachtet. Es gibt Menschen, die die Unabhängigkeit als eine wesentliche Frage statuieren, für sie ist die Unabhängigkeit das Ziel an sich. Ich dagegen, verstehe die Unabhängigkeit als Mittel.

Vor allem ist es ein Mittel zur Rettung der Demokratie. In einem spanischen Staat, dem es nicht gelungen ist, sich von seiner franquistischen, politischen Kultur zu befreien - was wir versucht haben - ist letztendlich die einzige Möglichkeit die sich anbietet, in einem nicht-franquistischen Staat zu leben, eine unabhängige Republik.

Deshalb ist die Unabhängigkeit ein Medium, das dazu dient eine echte europäische Demokratie oder, sagen wir, wenn es möglich ist, sogar eine bessere als die Europäischen, zu erreichen. 

Denn ich glaube, hier müssen wir schon feststellen, dass der spanische Übergang der schlechteste der Übergänge ist, die sich in Europa von einem totalitären, zu einem demokratischen Regime ereignet haben. Man hat es immer als das Gegenteil dessen verkauft, nicht wahr? Als den besten aller Übergänge, als beispielhafte Transition. Nein, tut mir leid! Die beispielhafte Transition - und doch könnten wir viel Kritik üben - war die deutsche oder die italienische, wo es einen Bruch mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus gab. In Spanien erkennt man erst jetzt den schrecklichen Preis, den man dafür zahlen musste, dass man nicht mit dem Franquismus gebrochen hat.

Was dabei rauskommt, wenn Franquisten und Demokraten gemeinsam eine Verfassung aufsetzen, ist eine Verfassung die halb franquistisch, halb demokratisch ist, das ist ja logisch! Im Grunde genommen ist es sehr einfach und da befinden wir uns eben.

Als Katalonien schon im 19. und 20. Jahrhundert und danach im 21. von Föderalismus spricht, sagt es im Grunde - zumindest ist das meine Ansicht und auch die Pasqual Maragalls - lasst mich der sein, der den spanischen Staat anführt, denn wenn ich ihn anführe, werde ich ihn in Richtung Demokratie mitschleifen.

Ein Staat, der eine Art imperiale, autoritäre Bürde in sich trägt, der europäisiert werden muss, der die liberale Revolution im 19. Jahrhundert verpasst und der niemals eine tiefgreifende demokratische Revolution vollzogen hat. 

Der Föderalismus ist im Wesentlichen, die Art wie Katalonien den Demokratisierungsprozess in Spanien anführen kann. Er ist also nicht nur eine Frage der Dezentralisierung und der finanziellen Autonomie, sondern auch eine Frage über die Rolle die Katalonien bei der Demokratisierung des gesamten Staates einnehmen kann. Deshalb dachten wir, als wir von einem plurinationalen Föderalismus sprachen, nicht nur an den Schutz der Interessen Kataloniens, sondern daran, dass Katalonien die Lokomotive der Demokratisierung Spaniens sein könnte.

Um zurück zur ursprünglichen Frage zu kommen: Was erwarte ich mir durch die Unabhängigkeit zu erreichen? Nun, in Anbetracht des Scheiterns des spanischen Demokratisierungsprozesses durch diese föderale Strategie, die, wie ich betone, föderal sein würde, um Spanien demokratisieren zu können, lass uns ziehen! Lass uns ziehen, um einen demokratischen Staat schaffen zu können, denn innerhalb dieses Staates wird es jedes Mal komplizierter.

Ich hege die Hoffnung, da ich eine Art spanische Leidenschaft in mir trage, - Xavier Rupert und ich machen immer wieder Witze darüber, dass wir die pro-spanischsten aller Unabhängigkeitsbefürworter sind - dass Katalonien ein Trauma im spanischen politischen System hervorrufen kann, das so groß ist, dass sich das spanische politische System, infolge des Verlusts Kataloniens, demokratisiert. Wir können es nicht wissen. Mir würde das sehr gefallen.

Es ist wie 1898, nicht wahr? 1898 ereignet sich der Verlust der Kolonien und die ganze Generation von 1898 wird letzten Endes der intellektuelle Ursprung der Republik (Anm. Übersetz.: 1989 wurde die Unabhängigkeit von Cuba, Puerto Rico und Phillipinen, der letzten Kolonien in Übersee, ausgerufen). Ich weiß nicht, ob sich Spanien, dank der Unabhängigkeit, demokratisieren wird, aber zumindest ist es unser Wille aus Spanien auszutreten, um eine normale Demokratie zu erschaffen. Dies ist das Wesentliche und der zweite, nicht weniger wichtige, Grund - und ich versuche mich jetzt kürzer zu fassen - ist, dass ich liebend gerne aus Katalonien einen Sozialstaat der Spitzenklasse machen würde, zu einem Pionier im Süden Europas.

Die Dänen und die nordischen Länder haben sich als Vorbilder bezüglich der Aufteilung und der tatsächlichen, effektiven Gleichstellung, erwiesen, nicht wahr? In Bezug auf die Gewährleistung der sozialen Rechte und des Zusammenhalts, in Bezug auf diese Bereiche, richtig? Also, ich glaube, dass Katalonien viele Bedingungen dafür erfüllt, um eine Art skandinavisches Land am Mittelmeer sein zu können.

Wenn wir die Gelegenheit nicht nutzen, aus der Republik einen Wohlfahrtsstaat zu machen - der in der ersten Liga spielt - oder zu einem Staat, indem die sozialen Rechte mit viel größerer Intensität als heutzutage garantiert werden. Ich möchte damit sagen, dass wir dabei die Chance des Jahrhunderts verpassen würden.

Folglich strebe ich danach, dass die Unabhängigkeit dazu dienen wird, einen wichtigen Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit zu machen. So lautet die kurze Zusammenfassung der Antwort: Ich will, dass die Unabhängigkeit zu einer echten Demokratie führt -Erste Liga, qualitativ - und ich will die Unabhängigkeit, damit in Katalonien mehr soziale Gerechtigkeit und mehr wirtschaftliche Gleichheit herrscht. 

 
SCK: Wir befinden uns in einer Zeit großer Proteste und Mobilisierungen auf der ganzen Welt, besonders in Europa. Der Ursprung dieser ist verstreut, aber es verbindet sie die Forderung nach einer radikalen Veränderung des Systems, in dem wir leben. Was halten Sie von den Bewegungen gegen den Klimawandel, der der gelben Westen und den feministischen Protesten um nur ein paar zu nennen?

Comín: Wir haben erst heute Morgen bei der Pressekonferenz darüber gesprochen. Die Geschichte des zeitgenössischen Europas ist letzten Endes die Geschichte des Kampfes zwischen Autoritarismus und Demokratie. Rechte proklamieren und garantieren oder eine Macht, die sich durchsetzt und die Bürger erdrückt. Morgen fahren wir nach Mauthausen, das ist das radikalste und extremste Beispiel für die Kontraposition von Autoritarismus und Demokratie. Diese Frage wirkt sich bis in die europäische Politik des 21. Jahrhunderts aus. Darüber hinaus glaube ich, dass wir uns, mit dem Misserfolg des Euro-Projektes, welches die europäischen Eliten als Garant für den generellen Fortschritt präsentierten und das nach 10 Jahren, einen Scherbenhaufen hinterließ, dieser Aufgabe erneut stellen müssen.

Anders gesagt, was machen wir jetzt? Glauben wir den Ammenmärchen des Autoritarismus, des Populismus, der Fremdenfeindlichkeit etc., die die Krise auf die Schwachen zurückführen und wundersame Heilmittel versprechen, die sich dann als falsch herausstellen. Oder wir versuchen den wahren Geist der Europäischen Union wiederzubeleben, nämlich in Richtung Demokratisierung voranzuschreiten, was zu großen Teilen genau das ist was hinter den Bewegungen die Sie mir aufgezählt haben - gegen die Klimaerwärmung, der gelben Westen und des Feminismus - steckt.

Katalonien versteht man nur und ist nur dann von Interesse, wenn es als weiterer Schauplatz dieses Kampfes präsentiert wird. Das bedeutet, dass ich möchte, dass Europa versteht, dass der katalanische Konflikt kein Einzelfall ist, sondern einen konkreten Schauplatz in einer generellen Problematik darstellt. Es ist ein europäischer Kampf, daher rufen wir zur Solidarität der europäischen Demokraten auf, nicht so sehr im Namen der Unabhängigkeit Kataloniens, sondern der europäischen Demokratie. In diesem Zusammenhang denke ich, dass die katalanische Unabhängigkeit eine Bewegung ist dessen Wurzeln mit der Bewegung für das Überleben des Planeten, der feministischen etc. verbunden sind, denn das Ziel dieser Bewegungen ist die aktuelle Krise durch einen Demokratisierungsschub zu überwinden.

SCK: Nationalismus ist eine Definition, die große Abneigung hervorruft und die in vielen Fällen mit Rassismus oder Suprematismus in Verbindung gebracht wird. Insbesondere zwischen den österreichischen Linken weckt sie keine Sympathien wegen der schrecklichen Vergangenheit, die sie umgibt. Österreich ist jedoch eines jener Länder, die den Aufstieg des Rechtsextremismus und Ultra-Nationalismus in Europa vorangetrieben haben. Was halten Sie von diesen Bewegungen und welche Unterschiede weisen sie in Bezug auf den katalanischen Nationalismus auf?

Comín: Ich sage immer, dass die katalanische Unabhängigkeitsbewegung keine nationalistische mehr ist und ich nicht weiß ob sie jemals eine war. Ab 2010, als nach dem Urteil des Statuts die Unterstützung für die Unabhängigkeit von 25 Prozent auf, sozusagen, 50 Prozent hochschießt, sprechen wir von einer Unabhängigkeitsströmung, die nicht mehr nationalistisch ist. Sie ist sehr zweisprachig und orientiert sich wenig an identitären Merkmalen.

Die Unabhängigkeitsbewegung ist voller Vorbilder die Spanisch sprechen. Deshalb würde ich sagen, dass die katalanische Unabhängigkeitsbewegung eine, ich würde es wagen zu behaupten, antinationalistische ist. Und das ist es, was wir Europa erklären müssen... Dass unser Gegner nationalistisch ist und, dass darüber hinaus der spanische Nationalismus ein autoritärer ist, der nie Freundschaft mit der Demokratie geschlossen hat. Als die Katalanisten beobachten wie Europa während dem 20. Jhrdt. einen Prozess der Demokratisierung eingeht - das ist ein kultureller, institutioneller, legaler, etc. Wandel - versuchen sie diesen Wind auch in Spanien einziehen zu lassen, kommen damit aber nicht durch. Sagen wir, es kommt also ein bisschen daher, dass Nationalismus, im negativen Sinn des Wortes, nicht für den katalanischen jedoch für den spanischen gilt.

Wenn der spanische Staat nicht so sehr von diesem autoritären und suprematistischen Nationalismus vereinnahmt wäre, dann würden die Katalanen vielleicht nicht unabhängig sein wollen, vielleicht wäre es für uns in Ordnung, in Spanien zu bleiben. Wir Katalanen sind sehr pragmatisch. Menschen, die problemlos in Vielfalt leben können. Die dominierende Ader des spanischen Nationalismus ist so stark, dass uns kein Ausweg bleibt, außer der zu gehen. Sie ist nicht nationalistisch, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, sondern anti-nationalistisch.

SCK: Trotz der Tatsache, dass ihre politischen Rechte noch intakt sind, haben Sie sich die Blockade ihrer Kandidatur für die Wahlen zum Europäischen Parlament durch die Wahlkommission wirklich nicht erwartet?

Comín: Naja erwarten, erwarten wir uns alles, da wir in eineinhalb Jahren alles mögliche schon gesehen haben. Doch in diesem Fall, ist der juristische Pfusch, den man beim Versuch unsere Kandidatur zu verhindern verursachen muss, so enorm, dass - unabhängig davon, ob wir es uns erwarten oder nicht - es offensichtlich ist, dass es sehr schwierig sein wird, dass sie ihr Ziel erreichen können. So wie in anderen Fällen Llarena sich großzügig an der Norm vergangen hat, ohne dass dies verhindert werden konnte, vertrauen wir bei dieser Gelegenheit darauf, dass dieser juristische Pfusch nicht gedeihen wird.

SCK: Wie wird sich, ihrer Meinung nach, die politische Situation in Katalonien entwickeln?

Comín: Tja, es ist schwer, diese Frage zu beantworten! Es geht nicht so sehr um das, was ich glaube, viel eher geht es um das, was ich mir wünsche, nicht wahr? Ich denke, dass wir in eineinhalb Jahren an allen Fronten vorangekommen sind, ob es viel oder wenig ist, darüber könnten wir diskutieren, aber wir haben uns nicht zurückgezogen.

Auf internationaler Ebene sind wir vorangekommen. Der Kenntnisstand über den katalanischen Konflikt, den die öffentliche Meinung erreicht hat, ist jetzt viel größer als noch vor zwei Jahren. Ich glaube, dass Europa im Allgemeinen langsam versteht, dass die spanische Transition eine unvollendete ist und, dass es aus diesem Grund noch Überreste des Franquismus gibt, die den spanischen Staat durchziehen und, dass er deshalb nicht als normaler Rechtsstaat angesehen werden kann.

Was die interne institutionelle Front betrifft, haben wir zwei Regierungen, sozusagen, nach Hause geschickt, zuerst jene Rajoys und danach hat Sánchez Wahlen einberufen müssen. Von nun an werden wir sehen, was Sánchez mit seiner relativen Mehrheit anstellt, aber bisher ist es eindeutig, dass die Stabilität der spanischen Politik von der Bewältigung des katalanischen Konflikts abhängt.

Und dann gibt es noch eine dritte Front, nämlich die interne Zivilfront. Ich glaube, wir sind da im Sinne dessen vorangekommen, dass wir den Menschen klar sagen können, und die Menschen können es nicht ignorieren, dass der Preis, der bezahlt werden muss, um das Ziel zu erreichen, sehr hoch ist. Bis Ende Oktober wussten wir ja nicht genau, zu welchem Grad der Gewalt der Staat bereit sein würde. Jetzt ist es bekannt, das Ausmaß der Gewalt, zu dem der Staat bereit ist, ist vollkommen, nicht wahr? Er kennt keine Grenzen: gerichtliche, rechtliche, polizeiliche Gewalt, etc.

Ich betrachte es als einen Fortschritt, da wir das der Bürgerschaft erklären können, was nicht einfach zu verdauen ist, es bedeutet einen Chipwechsel. Die "Revolution des Lächelns", "die Unabhängigkeit von Gesetz zu Gesetz", "ich wähle die Unabhängigkeit und die Politiker setzen sie durch” gehören der Vergangenheit an. Jetzt wissen wir, dass das nicht so läuft. Deshalb werden wir unser Ziel ohne die Straße nicht erreichen. All dies erscheint mir ein Fortschritt zu sein. Ich weiß nicht wie es sich entwickeln wird. Ich weiß aber, dass wir uns verbessert haben, wenn du möchtest, könnten wir sagen, dass es teilweise kaum wahrnehmbar ist, aber wir haben uns im Vergleich zu vor anderthalb Jahren verbessert.

SCK: In letzter Zeit herrscht eine große Debatte innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung, die sich um die Frage der zur Auswahl stehenden Strategien dreht. Es gibt Menschen, die alles darauf setzen, die Unterdrückung anzuprangern und eine europäische Intervention anzustreben, während andere meinen, dass nur der zivile Ungehorsam die jetzige Situation verändern kann. Was denken Sie? Gibt es andere Wege?

Comín: Also ich glaube, dass alles seine Gültigkeit hat und das man alles integrieren muss. Damit meine ich: ist es gut die Basis zu verbreitern? Ja! Das ist ja eines jener Dinge, die Esquerra Republicana sagt, richtig? Was bedeutet die Basis zu verbreitern und, dass bei Wahlen die Unterstützung der Unabhängigkeit immer mehr Anhänger findet. Ist eine Verbreiterung der Basis alleine ausreichend? Nein! Ist es in Ordnung, vor der europäischen Öffentlichkeit die Repressionen, die in Spanien stattfinden, anzuprangern? Ja, das ist in Ordnung, das schafft Solidarität innerhalb der europäischen Öffentlichkeit. Reicht es damit aus? Nein! Benötigen wir den zivilen Ungehorsam? Sicher! Der zivile Ungehorsam ist ein Instrument, das in der Demokratie grundsätzlich, sagen wir mal, ohne enorme persönliche Kosten zu verursachen, angewandt werden können müsste. Das heißt, wenn ich sage, dass die Menschen davon ausgehen müssen, dass die Opfer, die um zu gewinnen gebracht werden müssen, sehr groß sind, ich eher in wirtschaftlichen Maßstäben denke, denn ich glaube, dass einer der Wege, die wir mit der Logik des zivilen Ungehorsams erkunden müssen, der ist, die wirtschaftlichen Interessen des Gegners zu beeinflussen.

Was ich ungeheuerlich finde, ist, dass der zivile Ungehorsam, dadurch, dass Spanien diesen autoritären Rückschritt vollzogen hat, keine wirtschaftlichen Folgen erzeugt hat, dafür aber strafrechtliche, das ist das Problem. Wir werden sie vielleicht auch hinnehmen müssen, dadurch, dass wir nicht auf die Ausübung unserer eigenen demokratischen Rechte verzichten werden nur, weil der spanische Staat sie restriktiv auslegt und als Verbrechen betrachtet.

Volksabstimmungen sind nicht strafbar. Der erste Oktober ist kein Delikt. Wenn der Oberste Gerichtshof es zu einem Verbrechen macht, dann bedeutet das, dass man dafür das Demonstrationsrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Versammlungsrecht völlig restriktiv auslegen hat müssen.

All das um zu sagen: Verbreiterung der Basis? Super! Die internationale Front? Super! Im Justizbereich ist die internationale Front sehr wichtig, wenn wir vor europäischen Richtern Kämpfe gewinnen, ist das ein wichtiger Sieg, oder etwa nicht? Die internationale Anprangerung? Auch wichtig! Der zivile Ungehorsam ist es jedoch mit absoluter Sicherheit. Und wenn Sie mich fragen, welcher dieser Punkte am wichtigsten ist, werde ich sagen, dass es der zivile Ungehorsam ist, aber alle sind notwendig.

SCK: Was können die katalanische Gemeinschaft im Ausland und die Menschen, die den Souveränismus unterstützen, tun, um den spanischen Völkern bei der Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung zu helfen?

Comín: Also gut, ich denke, dass wir der europäischen Öffentlichkeit vermitteln müssen, dass das was in Schottland möglich ist, auch für Katalonien gelten sollte. Spanien hat, um die Solidarität der anderen europäischen Regierungen zu erhalten, ein Argument bedient, nämlich: "das ist verfassungswidrig". Das Abkommen zur Einheit von Schottland und England von 1707, besagt im ersten Artikel, dass die Einheit für die Ewigkeit ist, daher hätte es dort nie ein Referendum geben dürfen. Auch Kanada legt das so fest und sieht kein Referendum über die Unabhängigkeit des Quebecs vor. Sie hätten sagen können: "das wird niemals gemacht werden", nicht wahr? Aber si führten ein Referendum durch. Deshalb müssen wir, wenn Spanien aus der Verfassungswidrigkeit das Hauptargument macht, dieses Argument diskreditieren.

Dabei müssen wir von zwei Argumenten ausgehen. Erstens: die Selbstbestimmung verstößt nicht gegen die Verfassung. Wenn es nämlich so wäre gäbe es nicht die Fälle von Schottland und Quebec. Es gibt immer einen Pakt der bürgerlichen und politischen Rechte, der der Verfassung übersteht und der die Einhaltung einer demokratischen Perspektive auf die Ereignisse ermöglicht. Der andere Grund ist, dass wir damit nicht die Stabilität des europäischen politischen Systems gefährden. Früher war das anders, aber jetzt wo ein höherer Integrationsgrad existiert und ein Staat nicht mehr das ist, was er einmal war, da ein äußerst wichtiger Teil der Kompetenzen, an Brüssel abgegeben wurden, muss es möglich sein, flexibler mit der Schaffung von Staaten umgehen zu können. Gerade weil wir eine einheitliche Währung und einen einheitlichen Handel haben, können wir die Selbstbestimmung der Regionen zulassen, ohne ein Erdbeben zu provozieren.

Also müssen wir die Selbstbestimmung als politische Affäre entdramatisieren. Die Selbstbestimmung, die Unabhängigkeit einer Region, wie beispielsweise im Falle Kataloniens, ist eine interne Erweiterung der Union.

SCK: Sie sind nach Wien gekommen, um der Einladung des Triangle blau Àustria, anlässlich der Feierlichkeiten zur Befreiung Mauthausens zu folgen. Was hat Sie dazu veranlasst, diese Einladung anzunehmen?

Comín: Also, es ist eine Ehre! Eine totale Ehre! Außerdem kenne ich Mauthausen nicht, nur in Hinblick dessen Bedeutung für das historische Gedächtnis, aber wir - Präsident Puigdemont, Clara Ponsatí und ich - dachten, dass zumindest einer von uns kommen musste. Denn schauen Sie, es ist ein bisschen so wie ich vorher schon gesagt habe, in einer anderen Antwort kam das Lager ja schon vor. Wenn die Geschichte des zeitgenössischen Europas, äußerst kurz gefasst, die des Kampfes zwischen Demokratie und Autoritarismus ist - und das geht schon seit dem 19. Jhrdt so - dann ist das extremste Beispiel dafür der Nationalsozialismus. Die Opfer des Nationalsozialismus sind die schrecklichsten Zeugen dessen, was es bedeutet, wenn die Politik, Rechte überrollt, anstatt für sie zu sorgen.

Die Politik hat diese beiden Möglichkeiten, nicht wahr? Der Gewährleistung von Rechten und Freiheiten zu dienen oder eine Macht auszuüben, die Rechte, Freiheiten und in diesem Fall auch das Leben - das wichtigste Menschenrecht überhaupt - zerstampft. Also stehen wir vor dem Nullpunkt des europäischen Projekts, was in Wahrheit ein universelles Projekt ist. Ich meine damit, dass es der Nullpunkt dessen ist, was Demokratie und Rechtsstaat bedeuten müssen, beginnend mit dem wichtigsten und ich glaube, dass eine Art dauerhaftes Gedenken gegenüber den Opfern den Totalitarismus eingenommen werden muss. Mauthausen wäre das expliziteste Szenario dieses Dramas, in dem alle sterben mussten, nicht nur die Juden, sondern auch die Kommunisten, die Homosexuellen, die Bedürftigen, nicht wahr? Ich glaube, dass jeder der die Einladung erhält nach Mauthausen zu fahren, die Pflicht hat, diese anzunehmen.

Darüber hinaus, bringt uns das zurück zum Ursprung des europäischen Projekts, für das wir uns einsetzen wollen. Europa wurde dafür geboren, dass so etwas nie wieder passieren soll. Wenn es darum geht, dass der Nationalsozialismus und der Faschismus nie wieder den Kontinent beherrschen sollen, dann lasst uns nicht vergessen, dass das auch für die iberische Halbinsel gilt und auch der Franquismus nie wieder Spanien beherrschen soll, der ja der kleine Bruder des Totalitarismus im 20.Jhrdt ist und sich als der langlebigste herausstellte.

Man muss es dafür natürlich mit völlig anderen Maßstäben betrachten, da ja das Ausmaß des Schreckens, das Mauthausen als Metapher und Realität bedeutet, ganz offensichtlich unvergleichbar ist, aber es muss auch dazu dienen, den Kampf für Demokratie und Menschenrechte aufrechtzuerhalten. Die historische Erinnerung muss unseren Kampf, unser Engagement stärken und uns immer wieder aufs Neue dazu verpflichtet uns für den gegenwärtigen Kampf um Rechte einzusetzen.

Wir können nicht davor weglaufen, dass es einen irreparablen Fehler gegeben hat, wir können die Welt nicht als harmonisch betrachten, denn Auschwitz oder Mauthausen sind Tatsachen, die nicht wiedergutzumachen sind. Die Welt ist nicht mehr harmonisch und deshalb müssen wir uns in dauerhafter Alarmbereitschaft halten, am Ende ist die Idee des historischen Gedächtnisses genau das, uns in ständiger Alarmbereitschaft halten, denn wenn nicht, ist die Demokratie nicht automatisch in Sicherheit.

SCK: Vielen Dank!

Comín: Danke Ihnen!

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