Neu verbreiten wir hier (sowie via
Twitter und Facebook) sporadisch unter dem Hashtag #ungebunden (im Sinne von
unabhängigen losen Seiten) auch Artikel und Meldungen, die keinen unmittelbaren
Bezug zu Katalonien haben. Es geht darum, Menschen, die sich mit Katalonien
solidarisieren, gemeinsam politisch thematisch übergreifender zu vernetzen. Im
Sinne von „Schaffen wir zwei, drei, viele Katalonien“.
Im Jahr 2015 schreibt ein deutscher Elitesoldat einem Basler Polizisten eine Nachricht im beruflichen Netzwerk Linkedin. Der Deutsche dient im Kommando Spezialkräfte (KSK), der Sondereinheit der Bundeswehr. Auf Linkedin heisst er «Hannibal», dahinter stehen drei als Dreieck angeordnete Kreise, offenbar ein Verweis auf das bei Freimaurern beliebte Symbol des allsehenden Auges. Statt der üblichen Berufsbezeichnung steht bei Hannibal «Visionär – Türöffner – Abenteurer».
Michael Bonvalot am 10.03.19 in Neues Deutschland mit der Überschrift "Die österreichische Polizei wird blau gemacht"
Der Freitag Ausgabe 05/2019 von Sebastian Puschner im Gespräch mit Jonas Holldack unter Titel "Fahrt alle zur Hölle"
Manuel Lindemann am 31.01.19 in junge Welt: Das Gespenst trägt Gelb
Die NachDenkSeiten vom 29.01.19.
Am Sonntag erschien in der französischen Zeitschrift Humanité ein Aufruf einer Versammlung der gelben Westen aus dem ganzen Land. Sie nennen sich Generalversammlung. Das Dokument – siehe unten – ist ausgesprochen intelligent geschrieben und interessant. Es zeigt deutlich, dass es in Frankreich um einen Klassenkampf geht, wie überall übrigens.
Die USA, die EU, aber auch viele Venezolaner*innen blasen zum Sturz der Regierung Maduro. Tatsächlich ist die ökonomische Krise in dem südamerikanischen Land unerträglich geworden. Doch aus dem Blick gerät, dass auch die Opposition das strukturelle Problem des Landes ignoriert: die Abhängigkeit vom Öl und die "Rentenökonomie" von Staat und Gesellschaft.
„Die EU hat ihre Völker erniedrigt“
Nur gerade 19 Tage dauert es, bis Reto Delnon vom Heilsbringer des Schweizer Eishockeys zum gesellschaftlich Verfemten wird. Am 29. Dezember 1961 präsentiert ihn der Verband stolz als neuen Nationaltrainer. Der 37-jährige Bündner soll die Mannschaft nach einer Reihe blamabler Auftritte wieder auf die Erfolgsspur bringen. Für viele ist er eine Identifikationsfigur: Als Spieler hat er eine glänzende Karriere hingelegt, sich 74-mal das rote Trikot mit dem weissen Kreuz übergestreift und 1950 die Schweiz sogar zum Europameistertitel geführt. Seine Fairness ist legendär; in 20 Jahren Aktivzeit hat er lediglich fünf Strafen kassiert. Auch als Spielertrainer des HC La Chaux-de-Fonds hat er sich bewährt. Im Eisstadion der linken Uhrmacherstadt betreibt er zudem, gesellig, wie er ist, die Bar «Chez Reto». Doch dann platzt die Bombe.
Als einige Medien über Delnons linksextreme politische Gesinnung spekulieren, beruft das Zentralkomitee des Eishockeyverbands am 15. Januar 1962 in Zürich eine Krisensitzung ein. Hinter verschlossenen Türen wird an jenem Montagabend zwei Stunden lang debattiert und dann einstimmig entschieden: «Reto Delnon wird mit sofortiger Wirkung seiner Verpflichtungen als Coach entbunden.» Stein des Anstosses sind die brisanten Aussagen, die der Trainer ein Jahr zuvor – nach Gastspielen seines Klubs in der DDR – gegenüber der «Voix ouvrière» gemacht hat, der Zeitung der Partei der Arbeit (PdA): So seien die Ostdeutschen glücklicher als die Schweizer, und ihre Sozialgesetzgebung sei fortschrittlicher.
«Dreckseckel, Schmutzfink!»
«Eishockey-Delnon als Kommunist entlarvt», titelt nun triumphierend der «Blick» auf seiner Frontseite. Der entlassene Sportstar weiss nicht, wie ihm geschieht: «Ja, es stimmt, ich bin schon seit Jahren Mitglied der PdA», lässt er den Medien ausrichten. «Darf ich etwa keine Meinung mehr haben?» An einer Parteiversammlung habe er nie teilgenommen, er hege mehr aus Familientradition Sympathien, versichert er. Tatsächlich ist sein Vater Giacomo im heimischen Samedan als Kommunist bekannt und soll während des Zweiten Weltkriegs italienische Partisanen unterstützt haben. Genüsslich berichtet der Boulevard, wie ihm sein Sohn einst eine Stalin-Figur als Souvenir von einer Länderspielreise mitgebracht hat.
Die Entlassung Delnons wird in der Deutschschweizer Presse beklatscht. Für das Fachblatt «Sport» haben die Verbandsfunktionäre «den einzig richtigen und einzig tragbaren Beschluss» gefällt. Zwar ist an Delnons fachlichen Qualitäten nicht zu zweifeln, wie es unisono heisst. Doch ein «Diener Moskaus» dürfe auf keinen Fall Vorbild für die Jugend sein und das Schweizer Eishockey repräsentieren. Die NZZ sieht in ihm gar einen Agitator, der sich listig für eine leitende Stellung beim Verband qualifiziert habe. Der Rauswurf sei «eine kleine Korrektur (. . .), die in keinem Verhältnis steht zu den Säuberungen, wie sie im roten Paradies, das sich Delnon als geistige Heimat gewählt hat, zur Tagesordnung gehört». Die «Hetzkampagne» der «antikommunistischen Hexenjäger», so das empörte PdA-Organ «Vorwärts», hat Folgen. Delnon erhält Drohbriefe – «Sau-Kommunist, Dreckseckel, Schmutzfink!» – und nimmt sich als Anwalt den späteren Bundesrat Pierre Aubert.
Die heftigen Reaktionen kommen nicht von ungefähr. Die Phase zwischen dem Beginn des Mauerbaus in Berlin und der Kuba-Krise ist eine der heissesten des Kalten Kriegs überhaupt. Und die Schweiz zeichnet sich spätestens seit dem Ungarn-Aufstand von 1956 durch einen glühenden Antikommunismus aus. Die Angst vor Subversion ist bei den Eidgenossen gross, Misstrauen und Verdächtigungen sind allgegenwärtig. Der Sport ist davon nicht ausgenommen. Bürgerliche Politiker und Organisationen wie der Schweizerische Aufklärungsdienst fordern zum Beispiel den Abbruch der Ostkontakte – gerade auch im Eishockey, wo die UdSSR die Weltspitze dominiert. Etwas lockerer wird das in der Romandie gesehen, wo die Meinung vorherrscht, der Kontakt mit dem Westen bringe den Ostblock-Athleten primär die Vorzüge einer freiheitlichen Gesellschaft näher.
Ein «Röstigraben» zeigt sich denn auch in der Affäre Delnon. Im Gegensatz zu den Deutschschweizer Medien ergreift ein Grossteil der welschen Presse Partei für den entlassenen Trainer. Das liberale «Journal de Genève» bilanziert: «Ein gefährlicher Fanatismus hält bei den Deutschschweizer Sportfunktionären Einzug.» Und für «La Suisse» ist die Entlassung Delnons vor allem eine «schwerwiegende Verletzung» der Statuten des Eishockeyverbands, die politische und religiöse Neutralität vorsehen. Auch der «Blick» lässt Unzufriedene aus der Romandie in seinen Spalten zu Wort kommen: «Wenn er nazifreundlich gewesen wäre, hätte man Reto noch zum Doktor der Eishockey-Wissenschaft ernannt», spottet einer. Das wiederum führt zu Repliken aus der Deutschschweiz. Der «Bund» giftelt, «überraschen können diese Töne jenseits der Saane nicht, denn dazu kennen wir die eigenartige Mentalität unserer welschen Kollegen gegenüber dem Kommunismus allzu gut».
Geschickt getarnt?
Was die Öffentlichkeit damals nicht weiss: Reto Delnon ist schon seit 1960 im Visier der schweizerischen Staatsschützer, wie Dokumente im Bundesarchiv belegen. Familiäre und finanzielle Verhältnisse sind in seiner Fiche, die auch Telefonabhörprotokolle enthält, ebenso erfasst wie die Kontakte zu lokalen PdA-Politikern, die bei ihm in der Bar verkehren. Delnon gelte als «feiner Kerl» und sei offenbar kein aktives Parteimitglied, bewundere aber die Spielweise der Mannschaften aus dem Osten und habe den sowjetischen Botschafter wegen allfälliger Freundschaftsspiele getroffen, wird protokolliert. In einem «Kurzbericht» der Bundesanwaltschaft vom 4. Januar 1962 ist die Tonalität schon schärfer, auch wenn keine Belege für eine politische Wühlarbeit Delnons genannt werden: «Er versucht, den HC La Chaux-de-Fonds mit Linksextremisten zu durchsetzen» und verlange von den jungen Spielern die Zugehörigkeit zur PdA. «Seine linksextremistische Politik weiss Delnon geschickt zu tarnen.» Es ist der Inhalt dieses Berichts, der auf Anweisung von Bundespolizei-Adjunkt André Amstein dem Vorstand des Eishockeyverbands sowie einzelnen Medien zugespielt wird – und der zum Rauswurf Delnons führt.
Die Überwachung ist damit aber nicht zu Ende. Delnons spätere Tätigkeiten, etwa als Trainer des HC Fribourg-Gottéron, werden eifrig weiter dokumentiert. In einem Rapport vom Herbst 1962 notieren die Staatsschützer, die Popularität Delnons sei nach seinem Rauswurf als Nationaltrainer sogar gestiegen; die Sympathien würden bis weit ins bürgerliche Milieu reichen.
Und die Eishockey-Nationalmannschaft? Zwei Monate nach der Affäre landet sie an der WM in Colorado Springs nur auf dem zweitletzten Platz. Der neue Trainer, Ernst Wenger, steht indes nicht zur Debatte – er arbeitet hauptberuflich im Erkennungsdienst der Berner Polizei.
"Ich habe manchmal das Gefühl, ich bin gar kein richtiger Mensch, sondern irgendein Vogel oder anderes Tier in misslungener Menschgestalt, innerlich fühle ich mich in so einem Stückchen Garten wie hier oder im Feld unter Hummeln und Gras viel mehr in meiner Heimat als – auf einem Parteitag."
Ich liebe es wie andere auch, vor meinem PC zu sitzen und frei im Netz zu surfen.
Es scheint, als stünde mir dabei alles da draussen zur freien Verfügung. Der
Schein trügt jedoch. Längst wissen wir (oder sollten wissen): Das Netz
unterliegt der Kontrolle. Und jene, die es kontrollieren, legen auch die
Grenzen meiner Freiheit fest.
#ungebunden - 15. Januar 2019
Der Kolumnist MIlo Rau über Armut und Arbeit, Sebastian Kurz und Karl Marx im Tagesanzeiger vom 13. Januar 2019: "Sind die Armen faul?"
"Diese Revolte ist in ihrem Kern nicht reaktionär. Befragungen haben ergeben, dass eine Mehrheit der Protestierenden sich selber als eher links oder auch als linksextrem definiert, ein grosser Anteil bezeichnet sich als apolitisch, ein drittes Segment ist eher rechts oder auch rechtsextrem. Da kann man schwer von einer reaktionären Revolte sprechen, nur die Medien tun dies ohne Unterlass."
«Die Herrschenden haben Angst – und das ist wundervoll»
Sex bitte nur auf Absprache und Zucker lieber gar nicht mehr: Das Privatleben wird reglementiert wie nie - von Johannes Richardt aus NZZ vom 28. Dezember 2018
Der Genuss ist ein Politikum – und er war es immer schon: Zu allen Zeiten haben politische oder religiöse Autoritäten versucht, unsere Triebe, Neigungen, Bedürfnisse und Vorlieben in ihnen gefällige Richtungen zu lenken. Sei es durch mehr oder weniger offenen Zwang, sei es durch moralische Appelle oder Manipulation. Niemals waren die Fragen, welche Nahrungsmittel, Getränke oder bewusstseinsverändernden Substanzen wir unseren Körpern zuführen, welchen (Glücks-)Spielen wir nachgehen oder wie und mit wem wir Sex haben, reine Privatangelegenheiten. Bemerkenswert und neu ist jedoch das Ausmass, in dem Genussfragen heute politisiert und verrechtlicht werden.
Vor dem Hintergrund einer immer akuteren politischen Führungs- und Orientierungskrise setzen die Eliten in der westlichen Welt auf ein zunehmend kleinteiligeres Mikromanagement von Gesellschaft, Öffentlichkeit und Wirtschaft. Mit Verboten, Regulierungen, Richtlinien, Steuern, bewusstseinsbildenden Massnahmen und neuerdings auch mit den Psychotricks des sogenannten Nudging mischt sich der Staat in die private Lebensführung der Bürger, die öffentliche Debatte und unternehmerisches Handeln ein.
An die Stelle eines Streits um grundlegende politische und ökonomische Weichenstellungen sind die technokratische Steuerung privater Verhaltensweisen und eine Remoralisierung von Genuss- und Lebensstilfragen getreten. Allerhand paternalistische Massnahmen für ein «gesundes», «bewusstes» oder «nachhaltiges» Leben werden heute vorangetrieben: Von nationalen Reduktionsstrategien für Salz, Zucker und Fett in Lebensmitteln über öffentliche Rauchverbote und illiberale Sexualstrafrechtsreformen bis hin zu bevormundenden Glücksspielregulierungen reicht die Palette.
Gefördert wird diese Politik längst nicht nur, aber vor allem von Kreisen, die sich selbst als progressiv begreifen. Tatsächlich sind solche Massnahmen das Gegenteil von fortschrittlich. Sie erinnern an ein längst überwunden geglaubtes konservativ-autoritäres Denken, gegen das z. B. viele 68er, die kürzlich ihr 50-Jahr-Jubiläum gefeiert haben, mit Erfolg zu Felde gezogen waren.
Vom optimistischen Geist der Befreiung der 1960er Jahre findet man inzwischen kaum noch etwas. Heute herrscht eine Kultur der Angst und des Misstrauens vor, in der gerade ein Zuviel an Freiheit als problematisch gilt. So wurde auch der Genuss unter einen Risikovorbehalt gestellt: Sex, ja, aber bitte nur «safe» und idealerweise nach vorherigen «vertraglichen» Abmachungen, Drogen nur mit ärztlichem Rezept aus der Apotheke, Essen nur mit reduziertem Fett-, Zucker- oder Kohlenhydratgehalt, bloss kein Fleisch, und Alkohol selbstverständlich nur «bewusst geniessen».
Der degradierte Bürger
Spontane und unkontrollierte menschliche Leidenschaft und Bedürfnisbefriedigung gelten einer Politik, die Bürger nicht mehr als Gestalter, sondern vor allem als Störer, Verschmutzer oder Gefährder sieht, als gefährlich. Aus dieser trüben Sicht auf den Bürger leitet sich der politische Anspruch ab, in die persönliche Lebensführung der Menschen hineinzuregieren.
Ironischerweise untergräbt so ausgerechnet jenes politische Führungspersonal, das sich zurzeit als letzte Wacht gegen den Populistensturm zu inszenieren versucht, die moralischen und kulturellen Voraussetzungen für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft. Denn wer als Politiker den Leuten ständig signalisiert, dass er sie für zu blöd, schwach und vorurteilsbeladen hält, um mit den Herausforderungen selbst der banalsten Fragen der persönlichen Lebensführung klarzukommen, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen ihm irgendwann die kalte Schulter zeigen. Die gegenwärtige Veränderung der politischen Landschaft ist auch eine kulturelle Revolte gegen diese abgehobene Haltung, die Bürger – gerade die sogenannten «kleinen Leute» – nicht als Demos ernst zu nehmen, sondern zur therapiebedürftigen Verfügungsmasse für «wohlmeinende» Sozialtechniken aller Art zu degradieren.
So werden grundlegende, auf das Denken der Aufklärung zurückgehende Grenzen zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre verwischt – zwischen dem, was im allgemeinen Interesse liegt und somit offen für politische Konflikte ist, und dem, was die persönliche Lebensführung betrifft und somit den autonomen Entscheidungen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder überlassen sein sollte.
Auf der Makroebene haben die gewählten Volksvertreter vielerorts einen Grossteil ihrer Gestaltungsmacht an demokratisch nicht oder nur schwach legitimierte supranationale Institutionen (von der Europäischen Union bis zur Weltgesundheitsorganisation) abgegeben, die staatliches Handeln bis ins kleinste Detail an verpflichtende Regelwerke binden. Und auf der Mikroebene versuchen jene selbstbeschränkten Volksvertreter nun mit ihren Verbündeten in Bürokratie, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft, den Geist dieser technokratisch-regulatorischen Ordnung auch innerhalb der Gesellschaft, im zwischenmenschlichen Miteinander, zu implementieren.
Abgrenzung von der Chipstüte
Dass dieser Politikstil heute als kaum noch hinterfragter politischer Common Sense gilt, hat auch damit zu tun, dass asketische, auf Verzicht und Reinheit zielende Werte dem Zeitgeist entsprechen. Dabei dient ein korrekt gemässigter Lebensstil auch der sozialen Distinktion gegenüber einer geringgeschätzten «Unterschicht» mit Chipstüten und Tabakdosen auf dem Fliesentisch. Aus dieser Haltung heraus wird negiert, dass jeder Mensch das gleiche Recht darauf hat, durch seine Art zu geniessen die eigene Persönlichkeit auszudrücken. An die Stelle des unbeschwerten Auslebens individueller Autonomie treten die Medikalisierung und die staatliche Kanalisierung unserer Leidenschaften.
Die Etymologie des Wortes Autonomie – «autos» (selbst) und «nomos» (Regel oder Gesetz) – vermittelt die Bedeutung der Selbstbestimmung. Es geht darum, dass Menschen ihr Leben entsprechend selbstgewählten Richtlinien führen können. Dies schliesst selbstverständlich Genussfragen mit ein, weil auch diese uns im innersten Kern als Kulturwesen und einzigartige Individuen definieren. Schliesslich handelt es sich beim Fühlen, Schmecken und Riechen um die ersten Sinneserfahrungen des Menschen, aus denen sich dann im Laufe des Lebens in Interaktion mit der Gesellschaft die Fähigkeit zur Differenzierung und Beurteilung des Geschmacks entwickelt.
Die Regulierung des Genusses ist sowohl ein Angriff auf unser sinnliches Erleben und geselliges Miteinander als auch auf unsere moralische Urteilskraft. Denn moralische Autonomie verlangt von den Menschen, sie selbst zu sein, nach ihren Werten, Neigungen und ihrem Geschmack zu handeln und sich frei zu fühlen, einen Lebensstil anzunehmen, der es ihnen erlaubt, ihre Persönlichkeit auszudrücken. Um Autonomie zu kultivieren, bedarf es Entscheidungsfreiheit. Denn nur durch die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Optionen frei zu wählen, zu experimentieren und nicht zuletzt auch Fehler zu machen und dann hoffentlich aus ihnen zu lernen, entwickelt sich unsere Fähigkeit, Urteile zu fällen und entsprechend zu leben.
Wer es mit Freiheit und Demokratie ernst meint, muss Freiräume für selbstbestimmten Genuss nicht nur zähneknirschend tolerieren, sondern sie als Ausdruck einer zivilisierten Gesellschaft verteidigen und sich fragen, wie diese in Zukunft erweitert werden können. Momentan schwingt das Pendel genau in die andere Richtung. Leider.
Johannes Richardt ist Chefredaktor des Magazins «Novo». Er hat kürzlich zusammen mit Christoph Lövenich den Sammelband «Geniessen verboten» (Novo-Argumente-Verlag, 2018) herausgegeben. Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um eine gekürzte Version seines dort erschienenen Beitrags.
"Ein plebejischer Auftsand" titelt Deutschlandfunk Kultur ein Interview mit Raul Zelik.
"Solche Aufstände bringen es mit sich, dass sie widersprüchlich sind. Es ist vieles drin, das nach vorne weist. Aber es gibt natürlich auch Dinge, die nach hinten weisen, die reaktionär sind.“
""... dass Gesellschaften sich nur verändern, wenn tatsächlich auch, ja, mit einer gewissen Wut und Vehemenz Forderungen unvermittelt auf die Straße getragen werden. Also die Vorstellung, man könnte alle Dinge einfach so hineintragen in den parlamentarischen Apparat und dann wird das ausgehandelt und dann verbessert sich alles und dann kommen Reformen, ich glaube, das ist naiv - es stimmt auch nicht."
Daniel Binswanger mit seinem Artikel Aufstand der Peripherie auf republik.ch. Frankreich im Ausnahmezustand: Kann Präsident Macron die Situation beruhigen? Was bedeuten die Ausschreitungen für das Land – und für Europa?
"Dank den Fortschritten künstlicher Intelligenz können Medienbeiträge ohne grossen Aufwand in andere Sprachen übersetzt werden. So wird der Medienmarkt auch auf der Ebene der Inhalte ein globaler. Die weitgehend automatisierten Prozesse erfordern eine eigene Übersetzungsethik."
Nancy Fraser zählt zu den bedeutendsten Philosophinnen der Gegenwart. Theorie und Engagement gehören für sie zusammen. Als Antwort auf den weltweiten Rechtsruck plädiert sie für einen progressiven Populismus. „Wir brauchen eine Politik der Spaltung“
"Mit der Finanzkrise wurde das neoliberale Programm in der EU noch verstärkt, wie das [der Ökonom und ehemalige griechische Finanzminister] Yanis Varoufakis in seinem Buch beschreibt: Abbau sozialer Errungenschaften als Folge der Krise, die Durchsetzung eines neoliberalen Programms, und alles der Demokratie entzogen. Diese negative Entwicklung diskreditiert das EU-Modell zum Teil bis heute."
Der NZZ Artikel Triumph der Albernheit von Bernhard Pörksen
Ein Artikel von Nina Scholz in AK Ausgabe 642 vom 16.10.18 mit dem Titel "Neue Klassenpolitiken"
"Die Menschenmenge, die an diesem Samstag auf den Straßen unterwegs ist, ist enorm. Als die ersten Demonstranten rund zwei Stunden nach Beginn den Platz der Abschlusskundgebung direkt an der Siegessäule erreichen, sind am fünf Kilometer entfernten Alexanderplatz immer noch nicht alle Lautsprecherwagen losgefahren. Die breiten Straßen sind voll. Der gemeinsame Nenner ist klar: Man ist hier auf der Straße für eine offene und freie Gesellschaft und möchte diese gegen den Angriff von rechts verteidigen."
Ein Gastbeitrag von Slavoj Žižek in Zeit online von 8.Mai 2018 mit dem Titel "Wie ein Dieb am helllichten Tag"
"Das reale Geschehen hier spielt sich fern der Propaganda von RWE und Polizei ab, die sich wahrscheinlich vorstellen, den ganzen Tag würden wir nur Molotowcocktails bauen und Straftaten begehen."
Positive Erfahrungen von kollektivem und solidarischen Handeln sollten verbreitet werden.
„Die gefährlichste Bedrohung der Freiheit rührt nicht von einer offen autoritären Macht. Sie ergibt sich, wenn Unfreiheit als Freiheit wahrgenommen wird. Seit Permissivität und Wahlfreiheit zu höchsten Gütern erhoben wurden, treten soziale Kontrolle und Herrschaftsausübung nicht länger als Einschränkung der individuellen Freiheit auf. Vielmehr erscheinen sie als kompatibel mit der Selbstwahrnehmung des Menschen als eines freien Wesens, Selbstversklavung wird zum Ziel der eigenen Entscheidung.“
Das Schweizer Onlinemagazin “Republik“ rollt dieses bemerkenswerte Stück Mediengeschichte heute auf. Ich habe die TAT damals regelmässig gelesen. Es war sicher kein sozialistisches Blatt. Aber die Ausrichtung war klar: «Ihr Monopolisten. Ihr Profiteure. Ihr Spekulanten. Ihr Scharlatane. Ihr Bauernfänger. In der ‹TAT› werden wir Euch auf frischer Tat ertappen.» Dass die TAT eine derart hohe Reichweite erzielte, lag auch daran, dass die Texte für jedermann verständlich geschrieben waren und nicht in einer abgehobenen und schwer zugänglichen elitären Sprache, wie sie leider in vielen radikaleren linken Publikationen zu finden waren und sind. In diesem Sinne ist die Geschichte der TAT auch ein Lehrstück, wie ein sehr gesellschaftskritisches Medium durchaus ein Massenpublikum erreichen kann.
[Hermes]
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«Sozialismus für Banker, Austerität für die Massen und der unaufhaltsame Aufstieg der nationalistischen Internationalen. (. . .) Der neoliberale populistische Mythos (. . .) ist am Ende», schreibt Varoufakis im Magazin «der Freitag».
[Hermes]
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Vorgestellt wird das
erfolgreiche amerikanische Magazin „Jacobin“, welches für eine
aufstrebende Linke in den USA steht, die mehr sein will als bloss
liberal: Sie will den Kapitalismus nicht nur sanft reformieren, sondern
ganz überwinden. «Wir wollen die Linke zurück zu einem traditionelleren
Fokus auf die Klassenpolitik führen», erklärt der Gründer Bhaskar
Sunkara das Ziel von «Jacobin». Dazu gehöre auch, sie von der
Wichtigkeit von Massenorganisationen wie Parteien und Gewerkschaften zu
überzeugen. Es scheint, dass „Jacobin“ in den USA den Sozialismus wieder
cool machen könnte und eine nötige Rückbesinnung auf den Klassenkampf
endlich stattfinden könnte. Ein zentrales Thema, das leider auch in
Katalonien bis jetzt noch nicht im Vordergrund steht, sieht man von der
CUP ab, die eine klare antikapitalistische Position vertritt.
[Hermes]
Joss und Claudio sind Studierende an der UNAM in Mexiko-Stadt. Sie gehörten zu den 200.000 Menschen, die gegen die Angriffe der „Porros“ auf die Straße gegangen sind– "Porros" sind angeheuerte Schläger, die von der Universität bezahlt werden.
Das spanische Wort "porra“ kann mit "Jubel“ übersetzt werden. Wer sich nun an die "Jubelperser" anlässlich des Besuch des Schahs von Persien Mohammad Reza Pahlavi und seiner Frau Farah Pahlavi am 2. Juni 1967 in West-Berlin erinnet, liegt nicht ganz falsch.
Am 3. September 2018 gingen Porros, gemeinsam mit Sicherheitskräften der Universität, mit Molotow-Cocktails, Böller, zerbrochene Flaschen, Bambus-Stöcke, Plastikrohre und Messer gegen DemonstratInnen vor.
Mexikos künftiger Präsident Andrés Manuel López Obrador, der am 1. Dezember sein Amt antreten wird, sagte: "Ich stehe auf der Seite der jungen Menschen, die sich gegen die illegalen und abscheulichen Aktionen zu Wehr setzen." Er fügt hinzu: "Aber dies ist eine Sache, die die Studenten und die Universitätsleitung regeln müssen, da wir als Staat die universitäre Autonomie zu respektieren haben." Als autonome Universität unterliegt die Unam einer eigenen Jurisdiktion und staatliche Sicherheitskräfte haben kein Zutrittsrecht auf das Gelände der Hochschule. Universitäten als staatsrechtsfreier Raum, dies ist mehr als bedenklich.
Also "Andere Länder, andere Sitten?". Rechtlich scheint es so. Oder doch nicht? Denn es stellt sich die Frage, weshalb Obrador die Vorgehensweise als "illegal" beurteilt.
Auch die Haltung und das Agieren des spanischen Zentralstaates in Katalonien oder die Positionierung des Verfassungsschutzes und das Nicht-Agieren der Polizei in Chemnitz zeigen, dass Autoritäten es sich gerne sehr leicht machen, sich gerne zurückziehen, wenn es darum geht, dass Menschenrechte auch mit vorhandem Recht in Einklang zu bringen sind.
[k]
In Deutschland wird die neue Sammlungsbewegung #aufstehen rund um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine berechtigterweise kontrovers diskutiert. Auch in Italien wird gesammelt, laut junge Welt gibt es ein "Aufstehen auf italienisch"
Während in Deutschland zuerst eine Internetplattform mit niederschwelliger Information und der Möglichkeit des "Mitmachens" in Form einer E-Mailadressen-Eingabe wie von Newsletter bekannt angeboten wurde - die Veröffentlichung von Grundsätzen zu einem späteren Zeitpunkt stattfand - haben sich die italienischen GenossInnen am 9. September 2018 in Rom in der realen Welt getroffen.
Es scheint, dass die italienische Linke auf Grund der Namensgebung der Veranstaltung »Patria e Costituzione« (Vaterland und Verfassung) mit dem Ziel der Gründung eines Vereins »Sinistra di Popolo« (Volkslinke) weniger Schwierigkeiten mit in Deutschland als kritisch betrachteten Begrifflichkeiten hat. Die neue italienische Volkslinke will an eine antifschistische Tradition anknüpfen, politisch klarer positioniert als dies bisher aus dem Umfeld von Team Sahra zu #aufstehen zu hören war. Ferner wollen die AktivistInnen Themen wie Patriotismus und Souveränität gegenüber der EU in den Mittelpunkt stellen wollen, Schwerpunkte die für deutsche LeserInnen mit der aktuellen bundesdeutschen Betrachtungsweise möglicherweise eher auf ein AFD-ähnliches Projekt schliessen lassen.
Zum Schluss gab es noch eine Botschaft von Sahra Wagenknecht - sie war jedoch nicht selbst anwesend sondern nutzte ein Video.
Wenn in Deutschland die Sammlungbewegung rund um die brynhildenhafte Wagenknecht teilweise als Spaltungsversuch der Partei DIE LINKE angesehen wird, darf mensch gespannt sein, wohin sich diese italienische Bewegung entwickeln wird.
[k]
Der
Schweizer Altbundesrat und Nazifreund Musy liess vor 80 Jahren den
antikommunistischen Hetzfilm „Die Rote Pest“ produzieren. Auch in
Spanien (wo Musy höchstpersönlich General Franco eine Filmrolle
überreichte) fanden Vorführungen dieses üblen Propagandawerkes statt.
Ich
habe den Film als Jugendlicher in den 70er Jahren gesehen und er war so
unglaublich plump und krass primitiv, dass er auf mich wie eine
Realsatire wirkte und jegliche Glaubwürdigkeit der Propaganda von
vornherein ad absurdum geführt wurde. Ich kann nicht genau beurteilen,
wie der Film diesbezüglich 1938 auf Menschen wirkte. Aber bei mir in den
70ern erzeugt der Film eher ungläubige und kopfschüttelnde Lacheffekte.
#ungebunden - 15. März 2019
Was will der Verein eines deutschen Elitesoldaten in der Schweiz?
Das
Netzwerk Uniter vereint Soldaten, Polizisten und Personenschützer. Dem
Mitgründer André S. werden in Deutschland Verbindungen zu Rechtsextremen
vorgeworfen. Nun erwägt der Verein einen Umzug über die Grenze.
Ein Artikel von Matthias Sander am 14.03.19: Was will der Verein eines deutschen Elitesoldaten in der Schweiz?
Ein Artikel von Matthias Sander am 14.03.19: Was will der Verein eines deutschen Elitesoldaten in der Schweiz?
Im Jahr 2015 schreibt ein deutscher Elitesoldat einem Basler Polizisten eine Nachricht im beruflichen Netzwerk Linkedin. Der Deutsche dient im Kommando Spezialkräfte (KSK), der Sondereinheit der Bundeswehr. Auf Linkedin heisst er «Hannibal», dahinter stehen drei als Dreieck angeordnete Kreise, offenbar ein Verweis auf das bei Freimaurern beliebte Symbol des allsehenden Auges. Statt der üblichen Berufsbezeichnung steht bei Hannibal «Visionär – Türöffner – Abenteurer».
#ungebunden - 14. März 2019
Slavoj Žižek in der NZZ am 7.03.19 mit dem Titel "Solldenn alle Erotik entzaubert weren?#ungebunden - 13. März 2019
"Die radikalen Umbaupläne für den Geheimdienst sind keine Überraschung. Bereits kurz, nachdem Innenminister Kickl im Dezember 2017 sein Amt angetreten hatte, führte die Polizei sogar eine Razzia im BVT durch. Dutzende Beamte stürmten im Februar 2018 die Räume des Geheimdienstes, als Begründung wurden strafrechtliche Anschuldigungen gegen BVT-Mitarbeiter genannt."Michael Bonvalot am 10.03.19 in Neues Deutschland mit der Überschrift "Die österreichische Polizei wird blau gemacht"
#ungebunden - 20. Februar 2019
"Selbst die bürgerliche Presse kritisiert beizeiten die
Polizei: Seien es die überzogenen Einsätze rund um den Bahnhof Stuttgart 21,
der G20-Gipfel oder Gewalt gegen Fußballfans.Oft vermitteln die Medien dabei
aber den Eindruck, das Hauptproblem rechtswidriger Polizeigewalt liege im
Verhalten einzelner Beamter. Acht Gründe warum Polizeigewalt kein individuelles
Problem ist – sondern strukturell in der Institution Polizei verankert."
Christoper Wimmers und Lou Zuckers Artikel "Schöner Leben ohne Cops: Acht Gründe warum wir die Polizei abschaffen sollten" auf Supernovamag vom 18. Februar 2019
#ungebunden - 7. Februar 2019
Der „Brigade Camilo Cienfuegos“ folgten acht weitere Brigaden nach Venezuela und die Gründung des Vereins „Interbrigadas“ mit Sitz in Berlin-Wedding. Mitgründer Jonas Holldack hat von 2007 an die meiste Zeit in Venezuela gelebt und mit den Brigaden Fabrikbesetzer, landwirtschaftliche Kooperativen und andere Initiativen unterstützt. Heute verfolgt er von Berlin aus, wie der Druck auf Hugo Chávez’ Nachfolger Nicolás Maduro steigt.Der Freitag Ausgabe 05/2019 von Sebastian Puschner im Gespräch mit Jonas Holldack unter Titel "Fahrt alle zur Hölle"
#ungebunden - 31. Januar 2019
Frankreich durchlebt in diesen Tagen einen Traum. Einen linken Traum. Doch so, wie man sich erhofft aus einem Albtraum zu erwachen, bevor es zu schlimm wird, so sehnen sich viele richtige und vermeintliche Linke nur danach, das alles möge schnell wieder aufhören – sie wollen nicht erkennen, dass es ihr Traum ist, der da geträumt wird. Wie lange haben die Restlinken sich in Hörsälen und Hinterzimmern revolutionäre Subjekte erträumt? Dabei war es nur das Gespenst ihrer eigenen Machtlosigkeit, das ihnen da entgegentrat. Jetzt, wo das rote Gespenst eine gelbe Weste trägt, erkennen es viele gar nicht mehr. Die Sache ist jedoch klar und leicht zu begreifen, früher wie heute: Den Aufstand macht das Volk.Manuel Lindemann am 31.01.19 in junge Welt: Das Gespenst trägt Gelb
#ungebunden - 30. Januar 2019
Ein interessantes Dokument zum Aufstand in Frankreich: „Aufruf der ersten Generalversammlung der gelben Westen“Die NachDenkSeiten vom 29.01.19.
Am Sonntag erschien in der französischen Zeitschrift Humanité ein Aufruf einer Versammlung der gelben Westen aus dem ganzen Land. Sie nennen sich Generalversammlung. Das Dokument – siehe unten – ist ausgesprochen intelligent geschrieben und interessant. Es zeigt deutlich, dass es in Frankreich um einen Klassenkampf geht, wie überall übrigens.
#ungebunden - 27. Januar 2019
Raul Zelik auf seinem Blog - Die Macht der Rentenökonomie in VenezuelaDie USA, die EU, aber auch viele Venezolaner*innen blasen zum Sturz der Regierung Maduro. Tatsächlich ist die ökonomische Krise in dem südamerikanischen Land unerträglich geworden. Doch aus dem Blick gerät, dass auch die Opposition das strukturelle Problem des Landes ignoriert: die Abhängigkeit vom Öl und die "Rentenökonomie" von Staat und Gesellschaft.
#ungebunden - 22. Januar 2019
„Die EU hat ihre Völker erniedrigt“
Mit dem Sparkurs führe Europa einen Vernichtungskrieg gegen
soziale Errungenschaften, sagt Schriftstellerin Virginie Despentes im Interview.
"Aber Sorge macht, dass die extreme Rechte seit 15 Jahren
enge Bande zu Hochfinanz, Polizei und hohen Funktionären pflegt. Die Linke hat
kein vergleichbares Netz, und die Rechte ist bereit, die Macht an sich zu
reissen.“
#ungebunden - 21. Januar 2019
Aus dem NZZ-E-Paper vom 21.01.2019 - Blick zurück
Subversion auf Schlittschuhen
Im Januar 1962 wird der Eishockey-Nationaltrainer Reto Delnon entlassen, weil er Kommunist ist
Mitten im Kalten Krieg sorgt die «Affäre Delnon» für Aufsehen – und entzweit die Deutschschweiz und die Romandie. Die Regie hinter der Absetzung des Trainers führt der Staatsschutz.
Marc Tribelhorn
Im Januar 1962 wird der Eishockey-Nationaltrainer Reto Delnon entlassen, weil er Kommunist ist
Mitten im Kalten Krieg sorgt die «Affäre Delnon» für Aufsehen – und entzweit die Deutschschweiz und die Romandie. Die Regie hinter der Absetzung des Trainers führt der Staatsschutz.
Marc Tribelhorn
Nur gerade 19 Tage dauert es, bis Reto Delnon vom Heilsbringer des Schweizer Eishockeys zum gesellschaftlich Verfemten wird. Am 29. Dezember 1961 präsentiert ihn der Verband stolz als neuen Nationaltrainer. Der 37-jährige Bündner soll die Mannschaft nach einer Reihe blamabler Auftritte wieder auf die Erfolgsspur bringen. Für viele ist er eine Identifikationsfigur: Als Spieler hat er eine glänzende Karriere hingelegt, sich 74-mal das rote Trikot mit dem weissen Kreuz übergestreift und 1950 die Schweiz sogar zum Europameistertitel geführt. Seine Fairness ist legendär; in 20 Jahren Aktivzeit hat er lediglich fünf Strafen kassiert. Auch als Spielertrainer des HC La Chaux-de-Fonds hat er sich bewährt. Im Eisstadion der linken Uhrmacherstadt betreibt er zudem, gesellig, wie er ist, die Bar «Chez Reto». Doch dann platzt die Bombe.
Als einige Medien über Delnons linksextreme politische Gesinnung spekulieren, beruft das Zentralkomitee des Eishockeyverbands am 15. Januar 1962 in Zürich eine Krisensitzung ein. Hinter verschlossenen Türen wird an jenem Montagabend zwei Stunden lang debattiert und dann einstimmig entschieden: «Reto Delnon wird mit sofortiger Wirkung seiner Verpflichtungen als Coach entbunden.» Stein des Anstosses sind die brisanten Aussagen, die der Trainer ein Jahr zuvor – nach Gastspielen seines Klubs in der DDR – gegenüber der «Voix ouvrière» gemacht hat, der Zeitung der Partei der Arbeit (PdA): So seien die Ostdeutschen glücklicher als die Schweizer, und ihre Sozialgesetzgebung sei fortschrittlicher.
«Dreckseckel, Schmutzfink!»
«Eishockey-Delnon als Kommunist entlarvt», titelt nun triumphierend der «Blick» auf seiner Frontseite. Der entlassene Sportstar weiss nicht, wie ihm geschieht: «Ja, es stimmt, ich bin schon seit Jahren Mitglied der PdA», lässt er den Medien ausrichten. «Darf ich etwa keine Meinung mehr haben?» An einer Parteiversammlung habe er nie teilgenommen, er hege mehr aus Familientradition Sympathien, versichert er. Tatsächlich ist sein Vater Giacomo im heimischen Samedan als Kommunist bekannt und soll während des Zweiten Weltkriegs italienische Partisanen unterstützt haben. Genüsslich berichtet der Boulevard, wie ihm sein Sohn einst eine Stalin-Figur als Souvenir von einer Länderspielreise mitgebracht hat.
Die Entlassung Delnons wird in der Deutschschweizer Presse beklatscht. Für das Fachblatt «Sport» haben die Verbandsfunktionäre «den einzig richtigen und einzig tragbaren Beschluss» gefällt. Zwar ist an Delnons fachlichen Qualitäten nicht zu zweifeln, wie es unisono heisst. Doch ein «Diener Moskaus» dürfe auf keinen Fall Vorbild für die Jugend sein und das Schweizer Eishockey repräsentieren. Die NZZ sieht in ihm gar einen Agitator, der sich listig für eine leitende Stellung beim Verband qualifiziert habe. Der Rauswurf sei «eine kleine Korrektur (. . .), die in keinem Verhältnis steht zu den Säuberungen, wie sie im roten Paradies, das sich Delnon als geistige Heimat gewählt hat, zur Tagesordnung gehört». Die «Hetzkampagne» der «antikommunistischen Hexenjäger», so das empörte PdA-Organ «Vorwärts», hat Folgen. Delnon erhält Drohbriefe – «Sau-Kommunist, Dreckseckel, Schmutzfink!» – und nimmt sich als Anwalt den späteren Bundesrat Pierre Aubert.
Die heftigen Reaktionen kommen nicht von ungefähr. Die Phase zwischen dem Beginn des Mauerbaus in Berlin und der Kuba-Krise ist eine der heissesten des Kalten Kriegs überhaupt. Und die Schweiz zeichnet sich spätestens seit dem Ungarn-Aufstand von 1956 durch einen glühenden Antikommunismus aus. Die Angst vor Subversion ist bei den Eidgenossen gross, Misstrauen und Verdächtigungen sind allgegenwärtig. Der Sport ist davon nicht ausgenommen. Bürgerliche Politiker und Organisationen wie der Schweizerische Aufklärungsdienst fordern zum Beispiel den Abbruch der Ostkontakte – gerade auch im Eishockey, wo die UdSSR die Weltspitze dominiert. Etwas lockerer wird das in der Romandie gesehen, wo die Meinung vorherrscht, der Kontakt mit dem Westen bringe den Ostblock-Athleten primär die Vorzüge einer freiheitlichen Gesellschaft näher.
Ein «Röstigraben» zeigt sich denn auch in der Affäre Delnon. Im Gegensatz zu den Deutschschweizer Medien ergreift ein Grossteil der welschen Presse Partei für den entlassenen Trainer. Das liberale «Journal de Genève» bilanziert: «Ein gefährlicher Fanatismus hält bei den Deutschschweizer Sportfunktionären Einzug.» Und für «La Suisse» ist die Entlassung Delnons vor allem eine «schwerwiegende Verletzung» der Statuten des Eishockeyverbands, die politische und religiöse Neutralität vorsehen. Auch der «Blick» lässt Unzufriedene aus der Romandie in seinen Spalten zu Wort kommen: «Wenn er nazifreundlich gewesen wäre, hätte man Reto noch zum Doktor der Eishockey-Wissenschaft ernannt», spottet einer. Das wiederum führt zu Repliken aus der Deutschschweiz. Der «Bund» giftelt, «überraschen können diese Töne jenseits der Saane nicht, denn dazu kennen wir die eigenartige Mentalität unserer welschen Kollegen gegenüber dem Kommunismus allzu gut».
Geschickt getarnt?
Was die Öffentlichkeit damals nicht weiss: Reto Delnon ist schon seit 1960 im Visier der schweizerischen Staatsschützer, wie Dokumente im Bundesarchiv belegen. Familiäre und finanzielle Verhältnisse sind in seiner Fiche, die auch Telefonabhörprotokolle enthält, ebenso erfasst wie die Kontakte zu lokalen PdA-Politikern, die bei ihm in der Bar verkehren. Delnon gelte als «feiner Kerl» und sei offenbar kein aktives Parteimitglied, bewundere aber die Spielweise der Mannschaften aus dem Osten und habe den sowjetischen Botschafter wegen allfälliger Freundschaftsspiele getroffen, wird protokolliert. In einem «Kurzbericht» der Bundesanwaltschaft vom 4. Januar 1962 ist die Tonalität schon schärfer, auch wenn keine Belege für eine politische Wühlarbeit Delnons genannt werden: «Er versucht, den HC La Chaux-de-Fonds mit Linksextremisten zu durchsetzen» und verlange von den jungen Spielern die Zugehörigkeit zur PdA. «Seine linksextremistische Politik weiss Delnon geschickt zu tarnen.» Es ist der Inhalt dieses Berichts, der auf Anweisung von Bundespolizei-Adjunkt André Amstein dem Vorstand des Eishockeyverbands sowie einzelnen Medien zugespielt wird – und der zum Rauswurf Delnons führt.
Die Überwachung ist damit aber nicht zu Ende. Delnons spätere Tätigkeiten, etwa als Trainer des HC Fribourg-Gottéron, werden eifrig weiter dokumentiert. In einem Rapport vom Herbst 1962 notieren die Staatsschützer, die Popularität Delnons sei nach seinem Rauswurf als Nationaltrainer sogar gestiegen; die Sympathien würden bis weit ins bürgerliche Milieu reichen.
Und die Eishockey-Nationalmannschaft? Zwei Monate nach der Affäre landet sie an der WM in Colorado Springs nur auf dem zweitletzten Platz. Der neue Trainer, Ernst Wenger, steht indes nicht zur Debatte – er arbeitet hauptberuflich im Erkennungsdienst der Berner Polizei.
#ungebunden - 19. Januar 2019
Ein fiktives Interview mit Rosa Luxemburg "Jetzt rede ich!" von Patricia D'Incau und Marie-Josée Kuhn am 18. Februar 2019 in der schweizerischen Workzeitung."Ich habe manchmal das Gefühl, ich bin gar kein richtiger Mensch, sondern irgendein Vogel oder anderes Tier in misslungener Menschgestalt, innerlich fühle ich mich in so einem Stückchen Garten wie hier oder im Feld unter Hummeln und Gras viel mehr in meiner Heimat als – auf einem Parteitag."
#ungebunden - 18. Janaur 2019
Freiheit bedeutet stets die Freiheit, anderen weh zu tun
Die digitale Welt begünstigt die Zensur – still, aber nachhaltig. Von Slavoj
Žižek
Ich liebe es wie andere auch, vor meinem PC zu sitzen und frei im Netz zu surfen.
Es scheint, als stünde mir dabei alles da draussen zur freien Verfügung. Der
Schein trügt jedoch. Längst wissen wir (oder sollten wissen): Das Netz
unterliegt der Kontrolle. Und jene, die es kontrollieren, legen auch die
Grenzen meiner Freiheit fest.Die digitale Welt begünstigt die Zensur – still, aber nachhaltig. Von Slavoj Žižek
Die brutalste Form dieser Kontrolle besteht natürlich im direkten Ausschluss.
Individuen oder ganze Medienunternehmen werden aus den sozialen Netzwerken
verbannt und verschwinden selbst von den alten Kanälen – versuchen Sie nur
einmal, al-Jazeera auf den Fernsehschirm eines amerikanischen Hotels zu
bekommen!
Vernünftige Erklärungen für die Verbannung werden keine vorgebracht, zumeist
ist von irgendwelchen technischen Problemen die Rede. Während in Ausnahmefällen
Zensur gerechtfertigt ist (sagen wir: wenn es um Aufruf zur Gewalt geht), so
bleibt es trotzdem problematisch, dass die Zensur in opaker, also nicht
nachvollziehbarer Weise geschieht. Der minimale demokratische Standard sollte
hier sein, dass solche Einschränkungen der Freiheit in transparenter Weise und
mit einer öffentlichen Begründung erfolgen. Aber selbst das hilft nicht immer –
die Begründungen bleiben häufig vieldeutig oder verschleiern die wahren Gründe.
Von Russland in die USA
In Russland etwa kann man ins Gefängnis wandern, wenn man Inhalte
veröffentlicht, die man selbst ablehnt. Man denke nur an den Fall der
Kindergartenlehrerin Jewgenija Tschudnowez, die zu sechs Monaten Strafkolonie
verurteilt wurde, weil sie ein 3-Sekunden-Video postete. Darauf war ein kleines
Kind zu sehen, das in einem Sommerlager nackt von Verantwortlichen misshandelt
wurde. Die Begründung: Sie verbreite öffentlich Bilder eines minderjährigen
Kindes mit sexuellem Inhalt.
Tschudnowez selbst erklärte, dass sie den abscheulichen Vorfall unmöglich habe
unerwähnt lassen können. Sie wollte anklagen – und sie hatte durchaus recht
damit. Nur half das nichts. Denn der wahre Grund für ihre Verurteilung dürfte
nicht darin gelegen haben, die Gesellschaft vor Bildern nackter misshandelter
Kinder zu bewahren, sondern den Kindsmissbrauch zu verschleiern, der in
staatlichen Institutionen vor sich geht.
Nun liesse sich natürlich behaupten, solche Scheinprozesse seien nur in
autoritären Staaten wie Putins Russland denkbar. Weit gefehlt! Es reicht, an
den ersten bekannten Fall der Medienzensur zu erinnern, der im September 2016
kurz Thema war. Facebook entschied damals, eine historische Fotografie mit
einem nackten neunjährigen Kind zu entfernen. Es handelte sich dabei um die
Vietnamesin Kim Phuc, die vor einem Napalmangriff flieht – das Bild ist Teil
des kollektiven Gedächtnisses.
Nach einem Aufschrei in der Öffentlichkeit jenseits der sozialen Netzwerke
wurde das Bild wieder freigeschaltet. Interessant bleibt Facebooks Begründung
dafür, warum das Bild zuerst gesperrt wurde: «Während wir anerkennen, dass die
Fotografie ikonisch ist, so ist es schwierig, eine Unterscheidung zu treffen
und einmal eine Fotografie mit einem nackten Kind zuzulassen und andere Male
nicht.»
Die Wirkung der Haltung ist klar:
Ein allgemeines neutrales Prinzip (das nackte Kind) wird heraufbeschworen – die
Erinnerung an den Horror, den die Napalmbomben in Vietnam verursacht haben,
wird zensiert. Treiben wir diese Logik auf die Spitze, so liessen sich auch die
Filme verbieten, die unmittelbar nach der Befreiung von Auschwitz gedreht
wurden. Denn was wir da zu sehen bekommen, ist einfach zu schrecklich, das
können wir niemandem zumuten – die perfekte Begründung, um Geschichtsklitterung
zu betreiben.
Facebooks Begründung ergibt für das Unternehmen durchaus Sinn: Der
Social-Media-Gigant will niemanden vor den Kopf stossen, keine Freunde und
Followers verlieren. So verwandelt sich das Medium in der freien Welt
freiwillig in eine Zensurbehörde, die ebenso subtil wie effizient vorgeht.
Diese Denke ist aber längst von der digitalen Welt in die analoge geschwappt.
Vor nicht allzu langer Zeit widerfuhr
mir Folgendes. In meinen Konferenzen beschrieb ich den merkwürdigen Fall von
Bradley Barton aus Ontario, Kanada. Im März 2016 wurde der Lastwagenfahrer von
dem Mord an der indigenen Prostituierten Cindy Gladue freigesprochen, nachdem
er zunächst in erster Instanz für schuldig befunden worden war. Die
Verteidigung argumentierte, dass der Tod die unbeabsichtigte Folge von sehr
grobem Sex war, der in beidseitigem Einverständnis zustande kam – Gladue
verblutete infolge einer schweren Wunde in ihrer Scheidenwand. Das Urteil
widerspricht unserem ethischen Empfinden und sorgte damals auch für viel
Aufhebens.
Ich wurde wiederholt harsch dafür kritisiert, dass ich diesen Fall in allen
Details schilderte. Und der gegen mich gerichtete Vorwurf war stets derselbe:
Indem ich den Fall beschreibe, würde ich ihn reproduzieren, also symbolisch
wiederholen und insofern gutheissen – obwohl ich meiner Ablehnung Ausdruck
verleihe, so würde ich meinen Zuhörern doch ermöglichen, ihre perverse Lust zu
befriedigen.
Die Angriffe auf mich zeigen sehr schön das politisch korrekte Bedürfnis, Leute
vor jedweden verstörenden Bildern und News zu bewahren. Ich pflegte mich wie
Jewgenija Tschudnowez zu verteidigen, indem ich darauf hinwies, dass man
solche Verbrechen am besten dadurch bekämpft, dass man sie benennt. Mein
Argument ging ins Leere.
Der grösste Machtfaktor
In seiner Einleitung zu «Animal Farm» schrieb George Orwell: Wenn Freiheit
etwas meint, dann eben das Recht (ich würde hinzufügen: die Pflicht), den Menschen
zu sagen, was sie nicht hören wollen. Und genau das ist die Freiheit, die mir
mehr denn je bedroht zu sein scheint – und paradoxerweise geht die Bedrohung
von den sozialen Netzwerken aus, jenen Kräften, die einst die grosse Freiheit
der Meinungsäusserung versprachen.
Wir sind gefangen in der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens. Die
meisten unserer Aktivitäten (und Passivitäten) werden in irgendeiner digitalen
Cloud registriert, die uns ständig bewertet, indem nicht nur unsere Handlungen,
sondern auch unsere Gefühlszustände getrackt werden. Wenn wir uns weiterhin als
frei wahrnehmen (und eben im Web surfen, wo die ganze Welt verfügbar scheint),
so veräusserlichen wir uns gänzlich und werden subtil manipuliert. Anders
formuliert: Das digitale Netzwerk gibt dem guten alten Slogan «Das Private ist
politisch» eine völlig neue Bedeutung.
Dabei steht nicht nur unser intimes Leben auf dem Spiel. Alles ist durch
digitale Netzwerke gesteuert, vom Transport bis zur Gesundheit, von der
Elektrizität bis zur Wasserversorgung. Darum ist das Web heute unser
wichtigstes Gemeingut, und der Kampf um das Web ist heute der Kampf
schlechthin. Es stehen sich zwei Parteien gegenüber: auf der einen Seite die
Nutzer und Bürger, auf der anderen Seite eine Kombination aus privaten
quasimonopolistischen Firmen wie Facebook und Google und staatlichen Akteuren
wie Regierungen und Sicherheitsdiensten.
Das digitale Netzwerk, das die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft ebenso
sicherstellt wie deren Kontrolle, ist der grösste Machtfaktor heute. Zensur
hält Einzug, das Private löst sich auf, Geheimnisse werden zu blossen
Erinnerungen, das Individuum, wie wir es bisher kannten, verschwindet. Ausser –
wir lassen uns nicht einlullen. Insofern sollten wir uns freuen über jeden
Datendiebstahl, über jeden Datenskandal, über jeden Hackerangriff. Wikileaks
war erst der Anfang – lasst hundert Wikileaks blühen!
Slavoj Žižek zählt zu den bekannten Philosophen der Gegenwart. – Aus dem Englischen
übersetzt von rs.
Aus dem NZZ-E-Paper vom 18.01.2019
#ungebunden - 15. Januar 2019Vernünftige Erklärungen für die Verbannung werden keine vorgebracht, zumeist ist von irgendwelchen technischen Problemen die Rede. Während in Ausnahmefällen Zensur gerechtfertigt ist (sagen wir: wenn es um Aufruf zur Gewalt geht), so bleibt es trotzdem problematisch, dass die Zensur in opaker, also nicht nachvollziehbarer Weise geschieht. Der minimale demokratische Standard sollte hier sein, dass solche Einschränkungen der Freiheit in transparenter Weise und mit einer öffentlichen Begründung erfolgen. Aber selbst das hilft nicht immer – die Begründungen bleiben häufig vieldeutig oder verschleiern die wahren Gründe.
Von Russland in die USA
In Russland etwa kann man ins Gefängnis wandern, wenn man Inhalte veröffentlicht, die man selbst ablehnt. Man denke nur an den Fall der Kindergartenlehrerin Jewgenija Tschudnowez, die zu sechs Monaten Strafkolonie verurteilt wurde, weil sie ein 3-Sekunden-Video postete. Darauf war ein kleines Kind zu sehen, das in einem Sommerlager nackt von Verantwortlichen misshandelt wurde. Die Begründung: Sie verbreite öffentlich Bilder eines minderjährigen Kindes mit sexuellem Inhalt.
Tschudnowez selbst erklärte, dass sie den abscheulichen Vorfall unmöglich habe unerwähnt lassen können. Sie wollte anklagen – und sie hatte durchaus recht damit. Nur half das nichts. Denn der wahre Grund für ihre Verurteilung dürfte nicht darin gelegen haben, die Gesellschaft vor Bildern nackter misshandelter Kinder zu bewahren, sondern den Kindsmissbrauch zu verschleiern, der in staatlichen Institutionen vor sich geht.
Nun liesse sich natürlich behaupten, solche Scheinprozesse seien nur in autoritären Staaten wie Putins Russland denkbar. Weit gefehlt! Es reicht, an den ersten bekannten Fall der Medienzensur zu erinnern, der im September 2016 kurz Thema war. Facebook entschied damals, eine historische Fotografie mit einem nackten neunjährigen Kind zu entfernen. Es handelte sich dabei um die Vietnamesin Kim Phuc, die vor einem Napalmangriff flieht – das Bild ist Teil des kollektiven Gedächtnisses.
Nach einem Aufschrei in der Öffentlichkeit jenseits der sozialen Netzwerke wurde das Bild wieder freigeschaltet. Interessant bleibt Facebooks Begründung dafür, warum das Bild zuerst gesperrt wurde: «Während wir anerkennen, dass die Fotografie ikonisch ist, so ist es schwierig, eine Unterscheidung zu treffen und einmal eine Fotografie mit einem nackten Kind zuzulassen und andere Male nicht.»
Die Wirkung der Haltung ist klar:
Ein allgemeines neutrales Prinzip (das nackte Kind) wird heraufbeschworen – die Erinnerung an den Horror, den die Napalmbomben in Vietnam verursacht haben, wird zensiert. Treiben wir diese Logik auf die Spitze, so liessen sich auch die Filme verbieten, die unmittelbar nach der Befreiung von Auschwitz gedreht wurden. Denn was wir da zu sehen bekommen, ist einfach zu schrecklich, das können wir niemandem zumuten – die perfekte Begründung, um Geschichtsklitterung zu betreiben.
Facebooks Begründung ergibt für das Unternehmen durchaus Sinn: Der Social-Media-Gigant will niemanden vor den Kopf stossen, keine Freunde und Followers verlieren. So verwandelt sich das Medium in der freien Welt freiwillig in eine Zensurbehörde, die ebenso subtil wie effizient vorgeht.
Diese Denke ist aber längst von der digitalen Welt in die analoge geschwappt. Vor nicht allzu langer Zeit widerfuhr
mir Folgendes. In meinen Konferenzen beschrieb ich den merkwürdigen Fall von Bradley Barton aus Ontario, Kanada. Im März 2016 wurde der Lastwagenfahrer von dem Mord an der indigenen Prostituierten Cindy Gladue freigesprochen, nachdem er zunächst in erster Instanz für schuldig befunden worden war. Die Verteidigung argumentierte, dass der Tod die unbeabsichtigte Folge von sehr grobem Sex war, der in beidseitigem Einverständnis zustande kam – Gladue verblutete infolge einer schweren Wunde in ihrer Scheidenwand. Das Urteil widerspricht unserem ethischen Empfinden und sorgte damals auch für viel Aufhebens.
Ich wurde wiederholt harsch dafür kritisiert, dass ich diesen Fall in allen Details schilderte. Und der gegen mich gerichtete Vorwurf war stets derselbe: Indem ich den Fall beschreibe, würde ich ihn reproduzieren, also symbolisch wiederholen und insofern gutheissen – obwohl ich meiner Ablehnung Ausdruck verleihe, so würde ich meinen Zuhörern doch ermöglichen, ihre perverse Lust zu befriedigen.
Die Angriffe auf mich zeigen sehr schön das politisch korrekte Bedürfnis, Leute vor jedweden verstörenden Bildern und News zu bewahren. Ich pflegte mich wie Jewgenija Tschudnowez zu verteidigen, indem ich darauf hinwies, dass man solche Verbrechen am besten dadurch bekämpft, dass man sie benennt. Mein Argument ging ins Leere.
Der grösste Machtfaktor
In seiner Einleitung zu «Animal Farm» schrieb George Orwell: Wenn Freiheit etwas meint, dann eben das Recht (ich würde hinzufügen: die Pflicht), den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen. Und genau das ist die Freiheit, die mir mehr denn je bedroht zu sein scheint – und paradoxerweise geht die Bedrohung von den sozialen Netzwerken aus, jenen Kräften, die einst die grosse Freiheit der Meinungsäusserung versprachen.
Wir sind gefangen in der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens. Die meisten unserer Aktivitäten (und Passivitäten) werden in irgendeiner digitalen Cloud registriert, die uns ständig bewertet, indem nicht nur unsere Handlungen, sondern auch unsere Gefühlszustände getrackt werden. Wenn wir uns weiterhin als frei wahrnehmen (und eben im Web surfen, wo die ganze Welt verfügbar scheint), so veräusserlichen wir uns gänzlich und werden subtil manipuliert. Anders formuliert: Das digitale Netzwerk gibt dem guten alten Slogan «Das Private ist politisch» eine völlig neue Bedeutung.
Dabei steht nicht nur unser intimes Leben auf dem Spiel. Alles ist durch digitale Netzwerke gesteuert, vom Transport bis zur Gesundheit, von der Elektrizität bis zur Wasserversorgung. Darum ist das Web heute unser wichtigstes Gemeingut, und der Kampf um das Web ist heute der Kampf schlechthin. Es stehen sich zwei Parteien gegenüber: auf der einen Seite die Nutzer und Bürger, auf der anderen Seite eine Kombination aus privaten quasimonopolistischen Firmen wie Facebook und Google und staatlichen Akteuren wie Regierungen und Sicherheitsdiensten.
Das digitale Netzwerk, das die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft ebenso sicherstellt wie deren Kontrolle, ist der grösste Machtfaktor heute. Zensur hält Einzug, das Private löst sich auf, Geheimnisse werden zu blossen Erinnerungen, das Individuum, wie wir es bisher kannten, verschwindet. Ausser – wir lassen uns nicht einlullen. Insofern sollten wir uns freuen über jeden Datendiebstahl, über jeden Datenskandal, über jeden Hackerangriff. Wikileaks war erst der Anfang – lasst hundert Wikileaks blühen!
Slavoj Žižek zählt zu den bekannten Philosophen der Gegenwart. – Aus dem Englischen übersetzt von rs. Aus dem NZZ-E-Paper vom 18.01.2019
Warum
ist die Banlieue die Avantgarde? Und wer wird der nächste Präsident?
Ein Gespräch mit den drei französischen Linksintellektuellen Didier
Eribon, Edouard Louis und Geoffroy de Lagasnerie über die Proteste der
«gilets jaunes» – Teil 2.
#ungebunden - 14. Januar 2019
"Vorurteile sind so lange wahr, wie sie nicht durch Erfahrung entkräftet werden. In der Welt von Sebastian Kurz gibt es keine prekären Hilfsjobs, keine Menschen, die zwölf oder mehr Stunden für einen Witzlohn arbeiten. Die strukturellen Ursachen der Armut übersehen sie konsequent: die Folgen einer Wirtschaftspolitik, die für immer mehr Menschen immer weniger – und vor allem immer schlechter bezahlte – Arbeit generiert."Der Kolumnist MIlo Rau über Armut und Arbeit, Sebastian Kurz und Karl Marx im Tagesanzeiger vom 13. Januar 2019: "Sind die Armen faul?"
#ungebunden - 13. Januar 2019
In Frankreich reissen die Proteste der Gelbwesten nicht ab. Die Republik hat Didier Eribon, Edouard Louis und Geoffroy de Lagasnerie befragt: Was steckt dahinter? Und wohin führt das? Ein Gespräch mit den drei Linksintellektuellen."Diese Revolte ist in ihrem Kern nicht reaktionär. Befragungen haben ergeben, dass eine Mehrheit der Protestierenden sich selber als eher links oder auch als linksextrem definiert, ein grosser Anteil bezeichnet sich als apolitisch, ein drittes Segment ist eher rechts oder auch rechtsextrem. Da kann man schwer von einer reaktionären Revolte sprechen, nur die Medien tun dies ohne Unterlass."
«Die Herrschenden haben Angst – und das ist wundervoll»
#ungebunden - 28. Dezember 2018
Harte Zeiten für GeniesserSex bitte nur auf Absprache und Zucker lieber gar nicht mehr: Das Privatleben wird reglementiert wie nie - von Johannes Richardt aus NZZ vom 28. Dezember 2018
Der Genuss ist ein Politikum – und er war es immer schon: Zu allen Zeiten haben politische oder religiöse Autoritäten versucht, unsere Triebe, Neigungen, Bedürfnisse und Vorlieben in ihnen gefällige Richtungen zu lenken. Sei es durch mehr oder weniger offenen Zwang, sei es durch moralische Appelle oder Manipulation. Niemals waren die Fragen, welche Nahrungsmittel, Getränke oder bewusstseinsverändernden Substanzen wir unseren Körpern zuführen, welchen (Glücks-)Spielen wir nachgehen oder wie und mit wem wir Sex haben, reine Privatangelegenheiten. Bemerkenswert und neu ist jedoch das Ausmass, in dem Genussfragen heute politisiert und verrechtlicht werden.
Vor dem Hintergrund einer immer akuteren politischen Führungs- und Orientierungskrise setzen die Eliten in der westlichen Welt auf ein zunehmend kleinteiligeres Mikromanagement von Gesellschaft, Öffentlichkeit und Wirtschaft. Mit Verboten, Regulierungen, Richtlinien, Steuern, bewusstseinsbildenden Massnahmen und neuerdings auch mit den Psychotricks des sogenannten Nudging mischt sich der Staat in die private Lebensführung der Bürger, die öffentliche Debatte und unternehmerisches Handeln ein.
An die Stelle eines Streits um grundlegende politische und ökonomische Weichenstellungen sind die technokratische Steuerung privater Verhaltensweisen und eine Remoralisierung von Genuss- und Lebensstilfragen getreten. Allerhand paternalistische Massnahmen für ein «gesundes», «bewusstes» oder «nachhaltiges» Leben werden heute vorangetrieben: Von nationalen Reduktionsstrategien für Salz, Zucker und Fett in Lebensmitteln über öffentliche Rauchverbote und illiberale Sexualstrafrechtsreformen bis hin zu bevormundenden Glücksspielregulierungen reicht die Palette.
Gefördert wird diese Politik längst nicht nur, aber vor allem von Kreisen, die sich selbst als progressiv begreifen. Tatsächlich sind solche Massnahmen das Gegenteil von fortschrittlich. Sie erinnern an ein längst überwunden geglaubtes konservativ-autoritäres Denken, gegen das z. B. viele 68er, die kürzlich ihr 50-Jahr-Jubiläum gefeiert haben, mit Erfolg zu Felde gezogen waren.
Vom optimistischen Geist der Befreiung der 1960er Jahre findet man inzwischen kaum noch etwas. Heute herrscht eine Kultur der Angst und des Misstrauens vor, in der gerade ein Zuviel an Freiheit als problematisch gilt. So wurde auch der Genuss unter einen Risikovorbehalt gestellt: Sex, ja, aber bitte nur «safe» und idealerweise nach vorherigen «vertraglichen» Abmachungen, Drogen nur mit ärztlichem Rezept aus der Apotheke, Essen nur mit reduziertem Fett-, Zucker- oder Kohlenhydratgehalt, bloss kein Fleisch, und Alkohol selbstverständlich nur «bewusst geniessen».
Der degradierte Bürger
Spontane und unkontrollierte menschliche Leidenschaft und Bedürfnisbefriedigung gelten einer Politik, die Bürger nicht mehr als Gestalter, sondern vor allem als Störer, Verschmutzer oder Gefährder sieht, als gefährlich. Aus dieser trüben Sicht auf den Bürger leitet sich der politische Anspruch ab, in die persönliche Lebensführung der Menschen hineinzuregieren.
Ironischerweise untergräbt so ausgerechnet jenes politische Führungspersonal, das sich zurzeit als letzte Wacht gegen den Populistensturm zu inszenieren versucht, die moralischen und kulturellen Voraussetzungen für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft. Denn wer als Politiker den Leuten ständig signalisiert, dass er sie für zu blöd, schwach und vorurteilsbeladen hält, um mit den Herausforderungen selbst der banalsten Fragen der persönlichen Lebensführung klarzukommen, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen ihm irgendwann die kalte Schulter zeigen. Die gegenwärtige Veränderung der politischen Landschaft ist auch eine kulturelle Revolte gegen diese abgehobene Haltung, die Bürger – gerade die sogenannten «kleinen Leute» – nicht als Demos ernst zu nehmen, sondern zur therapiebedürftigen Verfügungsmasse für «wohlmeinende» Sozialtechniken aller Art zu degradieren.
So werden grundlegende, auf das Denken der Aufklärung zurückgehende Grenzen zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre verwischt – zwischen dem, was im allgemeinen Interesse liegt und somit offen für politische Konflikte ist, und dem, was die persönliche Lebensführung betrifft und somit den autonomen Entscheidungen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder überlassen sein sollte.
Auf der Makroebene haben die gewählten Volksvertreter vielerorts einen Grossteil ihrer Gestaltungsmacht an demokratisch nicht oder nur schwach legitimierte supranationale Institutionen (von der Europäischen Union bis zur Weltgesundheitsorganisation) abgegeben, die staatliches Handeln bis ins kleinste Detail an verpflichtende Regelwerke binden. Und auf der Mikroebene versuchen jene selbstbeschränkten Volksvertreter nun mit ihren Verbündeten in Bürokratie, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft, den Geist dieser technokratisch-regulatorischen Ordnung auch innerhalb der Gesellschaft, im zwischenmenschlichen Miteinander, zu implementieren.
Abgrenzung von der Chipstüte
Dass dieser Politikstil heute als kaum noch hinterfragter politischer Common Sense gilt, hat auch damit zu tun, dass asketische, auf Verzicht und Reinheit zielende Werte dem Zeitgeist entsprechen. Dabei dient ein korrekt gemässigter Lebensstil auch der sozialen Distinktion gegenüber einer geringgeschätzten «Unterschicht» mit Chipstüten und Tabakdosen auf dem Fliesentisch. Aus dieser Haltung heraus wird negiert, dass jeder Mensch das gleiche Recht darauf hat, durch seine Art zu geniessen die eigene Persönlichkeit auszudrücken. An die Stelle des unbeschwerten Auslebens individueller Autonomie treten die Medikalisierung und die staatliche Kanalisierung unserer Leidenschaften.
Die Etymologie des Wortes Autonomie – «autos» (selbst) und «nomos» (Regel oder Gesetz) – vermittelt die Bedeutung der Selbstbestimmung. Es geht darum, dass Menschen ihr Leben entsprechend selbstgewählten Richtlinien führen können. Dies schliesst selbstverständlich Genussfragen mit ein, weil auch diese uns im innersten Kern als Kulturwesen und einzigartige Individuen definieren. Schliesslich handelt es sich beim Fühlen, Schmecken und Riechen um die ersten Sinneserfahrungen des Menschen, aus denen sich dann im Laufe des Lebens in Interaktion mit der Gesellschaft die Fähigkeit zur Differenzierung und Beurteilung des Geschmacks entwickelt.
Die Regulierung des Genusses ist sowohl ein Angriff auf unser sinnliches Erleben und geselliges Miteinander als auch auf unsere moralische Urteilskraft. Denn moralische Autonomie verlangt von den Menschen, sie selbst zu sein, nach ihren Werten, Neigungen und ihrem Geschmack zu handeln und sich frei zu fühlen, einen Lebensstil anzunehmen, der es ihnen erlaubt, ihre Persönlichkeit auszudrücken. Um Autonomie zu kultivieren, bedarf es Entscheidungsfreiheit. Denn nur durch die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Optionen frei zu wählen, zu experimentieren und nicht zuletzt auch Fehler zu machen und dann hoffentlich aus ihnen zu lernen, entwickelt sich unsere Fähigkeit, Urteile zu fällen und entsprechend zu leben.
Wer es mit Freiheit und Demokratie ernst meint, muss Freiräume für selbstbestimmten Genuss nicht nur zähneknirschend tolerieren, sondern sie als Ausdruck einer zivilisierten Gesellschaft verteidigen und sich fragen, wie diese in Zukunft erweitert werden können. Momentan schwingt das Pendel genau in die andere Richtung. Leider.
Johannes Richardt ist Chefredaktor des Magazins «Novo». Er hat kürzlich zusammen mit Christoph Lövenich den Sammelband «Geniessen verboten» (Novo-Argumente-Verlag, 2018) herausgegeben. Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um eine gekürzte Version seines dort erschienenen Beitrags.
#ungebunden - 27. Dezember 2018
Ein sehr ungewöhnlicher und (im doppelten Sinn des Wortes) merkwürdiger Artikel über ein bedeutendes und vermutlich vielen unbekanntes Kapitel der Kapitalismusgeschichte in Amerika und die Ideologie der Anarchokapitalistin Ayn Rand. Eine kapitalistische Weihnachtsgeschichte von Constantin Seibt#ungebunden - 20. Dezember 2018
Lasst uns also über Gegenmacht und Doppelmacht sprechen. Negri zeigt hier eine merkwürdige Mischung aus Optimismus und Pessimismus. Einerseits idealisiert er die aktuelle politische Situation, indem er sie als „Doppelmacht“ bezeichnet. Doch das, was historisch mit Doppelmacht bezeichnet wurde, ist eine Situation, in der die Machtfrage offen gestellt war – das ist (leider) in Frankreich heute noch nicht der Fall. Für die Entwicklung einer Doppelmachtsituation braucht es Organe der Selbstorganisation der kämpfenden Massen, die die bestehende Herrschaft direkt in Frage stellen. Zugleich drückt Negri die tiefe Skepsis aus, die Doppelmachtsituation tatsächlich zu gewinnen. So wird diese Diagnose zur doppelseitigen Medaille einer Strategielosigkeit, die die Bewegung „wie sie ist“ idealisiert, weil sie aufgegeben hat, die Instrumente zu schaffen, die für den Sieg tatsächlich nötig sind. Multitude, Doppelmacht und Revolution – zu Antonio Negris „Französischem Aufstand“#ungebunden - 13. Dezember 2018
Doublefeature zum Thema "gilets jaunes""Ein plebejischer Auftsand" titelt Deutschlandfunk Kultur ein Interview mit Raul Zelik.
"Solche Aufstände bringen es mit sich, dass sie widersprüchlich sind. Es ist vieles drin, das nach vorne weist. Aber es gibt natürlich auch Dinge, die nach hinten weisen, die reaktionär sind.“
""... dass Gesellschaften sich nur verändern, wenn tatsächlich auch, ja, mit einer gewissen Wut und Vehemenz Forderungen unvermittelt auf die Straße getragen werden. Also die Vorstellung, man könnte alle Dinge einfach so hineintragen in den parlamentarischen Apparat und dann wird das ausgehandelt und dann verbessert sich alles und dann kommen Reformen, ich glaube, das ist naiv - es stimmt auch nicht."
Daniel Binswanger mit seinem Artikel Aufstand der Peripherie auf republik.ch. Frankreich im Ausnahmezustand: Kann Präsident Macron die Situation beruhigen? Was bedeuten die Ausschreitungen für das Land – und für Europa?
#ungebunden - 12. Dezember 2018
Adrian Lobe veröffentlichte am 11.12.18 den Artikel Übersetzungsautomaten statt Sprachbarrieren auf medienwoche.ch."Dank den Fortschritten künstlicher Intelligenz können Medienbeiträge ohne grossen Aufwand in andere Sprachen übersetzt werden. So wird der Medienmarkt auch auf der Ebene der Inhalte ein globaler. Die weitgehend automatisierten Prozesse erfordern eine eigene Übersetzungsethik."
#ungebunden - 11. Dezember 2018
Mit der Überschrift »Unsere Stories im echten Leben finden« eine linke Partei
Wählerinnen von Sozialdemokraten wie auch Rechtsextremen zieht. Ihr
Vorsitzender erklärt, wie das geht.
#ungebunden - 6. Dezember 2018
Was aus den Gelbwesten werden wird, ist zur Stunde unklar.
An den Vorurteilen gegen sie zeigen sich die soziale Gewalt und die
Verächtlichkeit von Frankreichs Bürgertum. Édouard Louis sagt "Wer sie
beleidigt, beleidigt meinen Vater" am 5.12.18 in der Zeit.
#ungebunden - 30. November 2018
Inwiefern untergräbt der Kapitalismus seine eigenen Existenzbedingungen? Und wie kann man dem Rechtsruck wirksam entgegentreten?Nancy Fraser zählt zu den bedeutendsten Philosophinnen der Gegenwart. Theorie und Engagement gehören für sie zusammen. Als Antwort auf den weltweiten Rechtsruck plädiert sie für einen progressiven Populismus. „Wir brauchen eine Politik der Spaltung“
#ungebunden - 24. Oktober 2018
Nach zwanzig Jahren tritt Paul Rechsteiner als oberster Gewerkschafter der Schweiz zurück. Ein Gespräch über Macht und Motivation und die Erfolgsgeschichte der Schweiz in einem schwierigen europäischen Umfeld. Ein Interview von Urs Bruderer und Christof Moser unter dem Titel «Das Soziale darf man nicht den Populisten überlassen» auf republik.ch"Mit der Finanzkrise wurde das neoliberale Programm in der EU noch verstärkt, wie das [der Ökonom und ehemalige griechische Finanzminister] Yanis Varoufakis in seinem Buch beschreibt: Abbau sozialer Errungenschaften als Folge der Krise, die Durchsetzung eines neoliberalen Programms, und alles der Demokratie entzogen. Diese negative Entwicklung diskreditiert das EU-Modell zum Teil bis heute."
#ungebunden - 20. Oktober 2018
"Donald Trump zuzuschauen, ihn anzusehen, wie er seine Regierung unter dem Gelächter des Publikums vor der Uno als eine der erfolgreichsten aller Zeiten lobt, Journalisten als Feinde des amerikanischen Volkes verhöhnt oder mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un den angeblich absolut perfekten Deal aushandelt oder mal eben mit der Schlagkraft seiner Atomraketen prahlt, ist ein bisschen wie Kartoffelchips essen. Es wird einem garantiert schlecht, aber man kann doch nicht aufhören. Und es stellt sich stets die Frage: Wie ist der Mann nur ins Oval Office gekommen? Und warum ist er immer noch da? Vermag ihm kein Skandal zu schaden, keine Blamage etwas anzuhaben?"Der NZZ Artikel Triumph der Albernheit von Bernhard Pörksen
#ungebunden - 17. Oktober 2018
"Die Debatte um Neue Klassenpolitik ist noch jung und trotzdem ist die Neue Klassenpolitik schon ein stehender Begriff - ein Sammelbecken voller Hoffnungen, Romantizismen, Projektionen und Missverständnisse. Für die einen ist es ein Begriff voller Verheißungen: Klassenkämpfe, Stärke, Bündnisse, Geschichte und Zukunft, Streiks - und das Ende des Kapitalismus. Andere hören: weiße, männliche Arbeiter, Geschichtsklitterung, Hauptwiderspruch."Ein Artikel von Nina Scholz in AK Ausgabe 642 vom 16.10.18 mit dem Titel "Neue Klassenpolitiken"
#ungebunden - 14. Oktober 2018
Aufstand gegen Rechts titelt Philip Blees seinen Artikel in Neues Deutschland am 13.10.18."Die Menschenmenge, die an diesem Samstag auf den Straßen unterwegs ist, ist enorm. Als die ersten Demonstranten rund zwei Stunden nach Beginn den Platz der Abschlusskundgebung direkt an der Siegessäule erreichen, sind am fünf Kilometer entfernten Alexanderplatz immer noch nicht alle Lautsprecherwagen losgefahren. Die breiten Straßen sind voll. Der gemeinsame Nenner ist klar: Man ist hier auf der Straße für eine offene und freie Gesellschaft und möchte diese gegen den Angriff von rechts verteidigen."
#ungebunden - 11. Oktober 2018
„Längst befindet sich der in Auflösung begriffene Kapitalismus in einem Übergangsstadium zu etwas anderem; und nur weil uns die Ideologie so fest im Griff hat, sind wir nicht in der Lage, diese schleichende Transformation wahrzunehmen.“Ein Gastbeitrag von Slavoj Žižek in Zeit online von 8.Mai 2018 mit dem Titel "Wie ein Dieb am helllichten Tag"
#ungebunden - 5. Oktober 2018
Ein Augenzeugenbericht aus Hambach von Martin Eikchoff."Das reale Geschehen hier spielt sich fern der Propaganda von RWE und Polizei ab, die sich wahrscheinlich vorstellen, den ganzen Tag würden wir nur Molotowcocktails bauen und Straftaten begehen."
Positive Erfahrungen von kollektivem und solidarischen Handeln sollten verbreitet werden.
#ungebunden - 2. Oktober 2018
Gespräch mit Jutta Weber, Professorin für Mediensoziologie, Philosophin und Medientheoretikerin auf Republik.ch mit dem Titel "Nerds retten die Welt". Jutta Weber forscht zu Technik- und Medientheorie, Wissenschafts- und Technikforschung, Cultural Media Studies Surveillance, Military and Critical Security Studies, feministischer Theorie, Medien und Alltagskultur, Technik und Gender.#ungebunden - 29. September 2018
Ganzseitiger Artikel in der heutigen NZZ von Slavoj Žižek.„Die gefährlichste Bedrohung der Freiheit rührt nicht von einer offen autoritären Macht. Sie ergibt sich, wenn Unfreiheit als Freiheit wahrgenommen wird. Seit Permissivität und Wahlfreiheit zu höchsten Gütern erhoben wurden, treten soziale Kontrolle und Herrschaftsausübung nicht länger als Einschränkung der individuellen Freiheit auf. Vielmehr erscheinen sie als kompatibel mit der Selbstwahrnehmung des Menschen als eines freien Wesens, Selbstversklavung wird zum Ziel der eigenen Entscheidung.“
#ungebunden - 21. September 2018
In der Schweiz gab es vor 40 Jahren ein sehr interessantes Medienprojekt: Über ein Jahr erschien als Tageszeitung die „TAT“ und erreichte täglich 230‘000 Leser. Da die TAT in ihrer Berichterstattung keine Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaft nahm («Wir scheuten uns nicht vor klaren Positionsbezügen»), schaltete kaum ein Unternehmen Inserate und es resultierte ein Defizit von 12 Millionen Franken. Die Migros als Herausgeber wollte daher das Experiment in dieser Form abwürgen, was zum Streik führte.Das Schweizer Onlinemagazin “Republik“ rollt dieses bemerkenswerte Stück Mediengeschichte heute auf. Ich habe die TAT damals regelmässig gelesen. Es war sicher kein sozialistisches Blatt. Aber die Ausrichtung war klar: «Ihr Monopolisten. Ihr Profiteure. Ihr Spekulanten. Ihr Scharlatane. Ihr Bauernfänger. In der ‹TAT› werden wir Euch auf frischer Tat ertappen.» Dass die TAT eine derart hohe Reichweite erzielte, lag auch daran, dass die Texte für jedermann verständlich geschrieben waren und nicht in einer abgehobenen und schwer zugänglichen elitären Sprache, wie sie leider in vielen radikaleren linken Publikationen zu finden waren und sind. In diesem Sinne ist die Geschichte der TAT auch ein Lehrstück, wie ein sehr gesellschaftskritisches Medium durchaus ein Massenpublikum erreichen kann.
[Hermes]
#ungebunden - 20. September 2018
Ein grundsätzlicher analytischer Text zur herrschenden Demokratie und der Parlamentarismusfrage von Raul Zelik, der vor drei Jahren in der WoZ erscheinen ist und nach wie vor für die radikale Linke aktuell ist: Kann die bürgerliche Demokratie überhaupt ein Instrument zur Selbstregierung der Vielen sein oder ist sie per se ein Vehikel der herrschenden Klasse? Sind Kapitalismus und bürgerliche Demokratie notwendigerweise miteinander verbunden? Wer ist „das Volk“? Diese und andere Fragen werden in der Essayreihe „Im Multiversum des Kapitals“ abgehandelt. Unbedingt lesen![Hermes]
#ungebunden - 19. September 2018
Heute Morgen streikt die Belegschaft wieder bei #HalbergGuss. Dazu ein aktuelles Interview von Raul Zelik mit Michael Knopp von der @IGMetall Saarbrücken zum Konflikt, Organizing, Streik und den Kampf gegen rechts (aus @analysekritik).[Hermes]
#ungebunden - 15. September 2018
Vor genau zehn Jahren räumten die Angestellten von Lehman Brothers unfreiwillig ihre Schreibtische. Die Insolvenz der amerikanischen Investmentbank schickte Schockwellen durch das Finanzsystem.«Sozialismus für Banker, Austerität für die Massen und der unaufhaltsame Aufstieg der nationalistischen Internationalen. (. . .) Der neoliberale populistische Mythos (. . .) ist am Ende», schreibt Varoufakis im Magazin «der Freitag».
[Hermes]
#ungebunden - 14. September 2018
Auf ada wurde ein Text mit dem Titel „Ist Sozialismus...?“ veröffentlicht. Irgendwie war mir der Text etwas suspekt. Nach nochmaligem genaueren Lesen wurde mir auch klar, was mich konkret stört - er kommt etwas sehr belehrend und psychologisierend daher. Und in einer etwas sehr vereinfachenden Art, so á la „Sozialismus für Dummies“. Doch grundsätzlich ist der Text lesenswert und darum okay.[Hermes]
#ungebunden - 13. September 2018
„Mit Marx und Trash gegen den herrschenden Irrsinn“, so der Titel eines Artikels in der linken Schweizer Wochenzeitung WoZ.Elemente des «Jacobin»-Buchcovers |
[Hermes]
#ungebunden - 12. September 2018
Am 10. September stellt Klasse gegen Klasse im Artikel "200.000 Studierende gegen Schlägertrupps: Schlacht um Mexikos Universitäten" die Frage: Entsteht eine neue Studierendenbewegung in Mexiko?Joss und Claudio sind Studierende an der UNAM in Mexiko-Stadt. Sie gehörten zu den 200.000 Menschen, die gegen die Angriffe der „Porros“ auf die Straße gegangen sind– "Porros" sind angeheuerte Schläger, die von der Universität bezahlt werden.
Das spanische Wort "porra“ kann mit "Jubel“ übersetzt werden. Wer sich nun an die "Jubelperser" anlässlich des Besuch des Schahs von Persien Mohammad Reza Pahlavi und seiner Frau Farah Pahlavi am 2. Juni 1967 in West-Berlin erinnet, liegt nicht ganz falsch.
Am 3. September 2018 gingen Porros, gemeinsam mit Sicherheitskräften der Universität, mit Molotow-Cocktails, Böller, zerbrochene Flaschen, Bambus-Stöcke, Plastikrohre und Messer gegen DemonstratInnen vor.
Mexikos künftiger Präsident Andrés Manuel López Obrador, der am 1. Dezember sein Amt antreten wird, sagte: "Ich stehe auf der Seite der jungen Menschen, die sich gegen die illegalen und abscheulichen Aktionen zu Wehr setzen." Er fügt hinzu: "Aber dies ist eine Sache, die die Studenten und die Universitätsleitung regeln müssen, da wir als Staat die universitäre Autonomie zu respektieren haben." Als autonome Universität unterliegt die Unam einer eigenen Jurisdiktion und staatliche Sicherheitskräfte haben kein Zutrittsrecht auf das Gelände der Hochschule. Universitäten als staatsrechtsfreier Raum, dies ist mehr als bedenklich.
Also "Andere Länder, andere Sitten?". Rechtlich scheint es so. Oder doch nicht? Denn es stellt sich die Frage, weshalb Obrador die Vorgehensweise als "illegal" beurteilt.
Auch die Haltung und das Agieren des spanischen Zentralstaates in Katalonien oder die Positionierung des Verfassungsschutzes und das Nicht-Agieren der Polizei in Chemnitz zeigen, dass Autoritäten es sich gerne sehr leicht machen, sich gerne zurückziehen, wenn es darum geht, dass Menschenrechte auch mit vorhandem Recht in Einklang zu bringen sind.
[k]
#ungebunden - 11. September 2018
In Deutschland wird die neue Sammlungsbewegung #aufstehen rund um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine berechtigterweise kontrovers diskutiert. Auch in Italien wird gesammelt, laut junge Welt gibt es ein "Aufstehen auf italienisch"
Während in Deutschland zuerst eine Internetplattform mit niederschwelliger Information und der Möglichkeit des "Mitmachens" in Form einer E-Mailadressen-Eingabe wie von Newsletter bekannt angeboten wurde - die Veröffentlichung von Grundsätzen zu einem späteren Zeitpunkt stattfand - haben sich die italienischen GenossInnen am 9. September 2018 in Rom in der realen Welt getroffen.
Es scheint, dass die italienische Linke auf Grund der Namensgebung der Veranstaltung »Patria e Costituzione« (Vaterland und Verfassung) mit dem Ziel der Gründung eines Vereins »Sinistra di Popolo« (Volkslinke) weniger Schwierigkeiten mit in Deutschland als kritisch betrachteten Begrifflichkeiten hat. Die neue italienische Volkslinke will an eine antifschistische Tradition anknüpfen, politisch klarer positioniert als dies bisher aus dem Umfeld von Team Sahra zu #aufstehen zu hören war. Ferner wollen die AktivistInnen Themen wie Patriotismus und Souveränität gegenüber der EU in den Mittelpunkt stellen wollen, Schwerpunkte die für deutsche LeserInnen mit der aktuellen bundesdeutschen Betrachtungsweise möglicherweise eher auf ein AFD-ähnliches Projekt schliessen lassen.
Zum Schluss gab es noch eine Botschaft von Sahra Wagenknecht - sie war jedoch nicht selbst anwesend sondern nutzte ein Video.
Wenn in Deutschland die Sammlungbewegung rund um die brynhildenhafte Wagenknecht teilweise als Spaltungsversuch der Partei DIE LINKE angesehen wird, darf mensch gespannt sein, wohin sich diese italienische Bewegung entwickeln wird.
[k]
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