Was können wir vom europäischen Richter erwarten?

Am 3. April 2018 veröffentlicht Javier Pérez Royo, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Sevilla, einen weiteren Artikel mir der Überschrift "What can we expect from the European judge?" auf ara.cat.
Hier ist unsere Übersetzung ins Deutsche.


Was können wir vom europäischen Richter erwarten?

Der Beschluss, eher die Beschlüsse, werden formal national, aber de facto Europäisch sein



Formal gesehen gibt es vier Gerichtsinstanzen aus vier europäischen Ländern, die über den Europäischen Haftbefehl des spanischen Richters Pablo Llarena entscheiden müssen. Von jedem einzelnen wird erwartet, dass er über einen einzigen Einzelfall entscheidet, mit Ausnahme des belgischen Richters, der dies in zwei Fällen tun wird. Daher können wir nicht von einem einzigen "europäischen Richter" sprechen, von dem eine Entscheidung erwartet wird, wie der Titel dieses Artikels vermuten lässt.

Obwohl es keinen einzigen europäischen Richter gibt, besteht m.E. diese Figur de facto. Jeder einzelne der Richter entscheidet selbst. Aber jeder von ihnen weiß, dass die einzelnen Fälle, über die man entscheiden soll, alle durch einen gemeinsamen Faden verbunden sind. Und allen ist bewusst, dass diese Angelegenheit in der öffentlichen Meinung Europas eine zentrale Rolle gespielt hat, wie ein Durchblättern der Zeitungen leicht bestätigen wird. Und es ist nicht nur die öffentliche Meinung Europas: Erinnern Sie sich an den jüngsten NYT-Leitartikel.

Es gibt Zeiten, in denen eine Entscheidung des Rechtsorgans einer Nation zur Referenz für die anderen wird. Der Fall der Stellungnahme des kanadischen Obersten Gerichtshofs zu Quebec kommt mir in den Sinn. Obwohl es sich nicht um ein Urteil handelte, - es wurde nicht durch ein Gerichtsverfahren veranlasst, sondern durch eine förmliche Untersuchung der Bundesregierung - und es daher keinen Präzedenzfall geschaffen hatte, ist diese Meinung die einflussreichste Doktrin geworden darüber, was das Recht auf Selbstbestimmung ist - und was nicht - sowie auf die Bedingungen, unter denen ein Sezessionsreferendum in einem demokratischen Land stattfinden könnte.
Es ist unmöglich, dass Europa sich mit den höchsten Justizorganen Spaniens bei der Definition des Verbrechens der Rebellion einverstanden erklärt
Die Fälle, in denen die deutschen, schweizerischen, belgischen und schottischen Richter zu entscheiden haben, sind formal getrennt und individuell, aber es gibt einen gemeinsamen Zusammenhang: Was ist ein Verbrechen der Rebellion in einem demokratischen europäischen Land im 21. Jahrhundert?

Diese Frage müssen die vier Jurisdiktionskörper der vier Nationen beantworten, in denen die katalanischen nationalistischen Politiker festgehalten werden und gegen die der europäische Haftbefehl erlassen wurde. Und alle vier Richter wissen, dass ihre Antwort einen gemeinsamen europäischen Nenner zum Thema Rebellionsverbrechen schaffen wird. Selbst wenn sie es auf ihre eigene Weise tun, werden sie gemeinsam entscheiden, was ein Verbrechen der Rebellion ist und was nicht; Welche Art von "Gewalt" ist erforderlich, damit ein Ereignis als Verbrechen der Rebellion bezeichnet wird.

Mach keinen Fehler: Der Beschluss, eher die Beschlüsse, werden formell national, aber de facto Europäisch sein. Statt vier Einzelentscheidungen werden wir vier gleichzeitige Abstimmungen zu einer einzigen Entscheidung sehen. Sie alle werden den gemeinsamen europäischen Nenner suchen, was vor der öffentlichen Meinung Europas objektiv und vernünftig begründet werden kann.

Jedenfalls könnte dieser gemeinsame europäische Nenner niemals der Inhalt des Briefes oder des Haftbefehls von Richter Llarena sein. Zum Thema des Verbrechens der Rebellion werden alle vier Richter den Haftbefehl abweisen. Sie werden nicht zulassen, dass die katalanischen Politiker wegen Rebellion in Spanien angeklagt werden, weil es für die europäischen Richter unmöglich ist, eine solche kollektive Entscheidung zu treffen. Und sie wissen, dass sie keine widersprüchlichen Entscheidungen treffen dürfen.

Der spanische Staatsanwalt, die Audiencia Nacional und der Oberste Gerichtshof spielen mit dem Feuer und sie werden sich die Finger verbrennen. Es ist unmöglich für Europa, mit Spaniens höchsten Justizorganen bei der Definition des Verbrechens der Rebellion im Falle der katalanischen nationalistischen Politiker übereinzustimmen. Einige Stimmen in Medien und Wissenschaft haben als selbstverständlich angenommen, dass nach der Festnahme von Carles Puigdemont in Deutschland der katalanische Anführer unter den Bedingungen, die Richter Llarena festgelegt hat, an die spanischen Behörden ausliefern wird. Es wird nicht passieren. Was die Justizverwaltung Spaniens damit erreichen wird, ist einzig und allein sein Prestige in Europa noch weiter zu erodieren.
 
 
aus dem Englischen von Eva



Kommentare