Javier Pérez Royo hatte auf ara.cat mehrere Artikel mit der juristischen Betrachtung der Situation in Katalonien um die Amtseinführung des Präsidenten der Generalität veröffentlicht. Wir haben vier dieser Artikel der letzten Tage übersetzt.
Hier ist Teil 3 "Ignorancia inexcusable" vom 9. März 2018
Unentschuldbare Ignoranz
Ein Richter der Obergerichts darf nicht manche Dinge nicht wissen
von Javier Pérez
Royo, Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Sevilla
Ein Richter des Obergerichts darf nicht manche Dinge nicht wissen. Er darf nicht ignorieren, dass Spanien eine parlamentarische Monarchie ist, was eine Form der parlamentarischen Demokratie ist, und er darf nicht ignorieren, was in dieser politischen Form die Position des Parlaments ist.
aus dem Spanischen von Eva
Ein Richter des Obergerichts darf nicht manche Dinge nicht wissen. Er darf nicht ignorieren, dass Spanien eine parlamentarische Monarchie ist, was eine Form der parlamentarischen Demokratie ist, und er darf nicht ignorieren, was in dieser politischen Form die Position des Parlaments ist.
Und diese Ignoranz ist gerade, was Richter Pablo Llanera in
seinem gestrigen Befehl nachgewiesen hat. Dabei hat er entschieden, Jordi
Sánchez nicht zu erlauben, an der Amtseinsetzungssitzung in seiner Eigenschaft
als vom Präsidenten des Parlaments ernannte Kandidat teilzunehmen.
Die parlamentarische Demokratie beruht auf zwei Grundsätzen:
der erste bezieht sich darauf, dass die Macht vom Volk hervorgeht und daraus
alle Staatsgewalt geht, der zweite bezieht sich auf die Verlinkung, wodurch
diese demokratische Legitimation auf der konstitutionellen Architektur
projeziert wird, d.h., es gibt nur eine Institution, die der direkte Träger
davon ist: das Parlament. Die Macht liegt beim Volk, aber institutionell wird
sie im Parlament projeziert. Artikel 66.1. der spanischen Verfassung: “Das
Zweikammerparlament repräsentiert das spanische Volk”. Es ist das einzige Mal,
dass die Verfassung das Volk als Machtinhaber mit einer Verfassungsinstitution
in direkter Verbindung setzt. Alle andere wird durch das Parlament verlinkt.
Das Parlament muss seine Verbindung mit dem Volk als Inhaber
der Macht alle vier Jahre erneuern. Das ist die Dauer einer Legislaturperiode.
Mit jeder Erneuerung der demokratischen Legitimität beginnt eine ganz neue
Phase der parlamentarischen Demokratie. Legislaturperioden sind keine
kommunizierende Röhren, sondern wasserdichte Abteilungen. Das Prinzip der
Diskontinuität leitet das parlamentarische Leben. Daraus ergibt sich die
Nummerierung der Legislaturperioden.
Bei jeder Erneuerung der demokratischen Legitimität des
Parlaments muss die Legitimität der Regierung und der Gerichtsgewalt erneuert
werden. Die Erneuerung der Regierung ist explizit und sichtbar: Es erfolgt mit
der Amtseinsetzung des Präsidenten. Die Erneuerung der Legitimität der
Gerichtsgewalt ist implizit: Die “Unterwerfung der Gesetzesgewalt“ (Art. 117.1
spanische Verfassung) bleibt, so wie in der gültigen Rechtsordnung so lange das
Parlament nicht vereinbart, sie zu erneuern. Das neue Zweikammerparlament macht
die Rechtsordnung und erneuert ihre Legitimität, indem es sie ändert oder
nicht.
Dies gilt genauso für alle autonomen Regionen, deren
parlamentarische Formel eine Reproduktion der Staatsformel ist.
In einer parlamentarischen Demokratie hat das Parlament als
einziges Verfassungsorgan Freiheit. Es ist das einzige Organ, das kein Recht
„ausführt“, sondern Recht „schafft“. Die Grenze ist die Verfassung, aber es
führt nicht die Verfassung aus, sondern es schafft freilich das Recht mit
solcher Grenze. So wie das Verfassungsgericht sagt: Es verfügt über
„Konfigurationsfreiheit“. Kein anderes Organ verfügt darüber.
Und diese „Konfigurationsfreiheit“ wird als erstes von der
Weiterleitung der demokratischen Legitimität an der Regierung durch die
Amtseinsetzung des Präsidenten dargestellt. Das ist der ultimative Ausdruck von
„Konfigurationsfreiheit”. Das Parlament und nur das Parlament darf nach einer
Wahl mit den in der Verfassung festgelegten Grenzen entscheiden, wie es die
demokratische Legitimität, wovon der Ministerpräsident Träger ist, überträgt.
Für den autonomen Regionen wird von der Verfassungsmäßigkeit
als Grenze auferlegt, dass der vorgeschlagene Kandidat ein gewählter
Abgeordneter ist, und dass ihm nicht das passive Wahlrecht durch ein
rechtskräftige Urteil entzogen worden ist. Wenn diese doppelte Grenze
respektiert wird, ist es nicht möglich von außerhalb des Parlaments in der
Amtseinsetzungsprozedur einzugreifen.
Andernfalls wird das Prinzip der demokratischen Legitimität,
das Prinzip der parlamentarischen Dispositionsbefugnis und das Prinzip der
Gewaltenteilung verweigert, darüber hinaus wird das passive Wahlrecht des
ernannten Kandidaten und das aktive Wahlrecht aller katalanischen Bürger, die
an den Wahlen vom 21. Dezember teilgenommen haben, verletzt.
Es ist erschreckend, dass gerade ein Richter am Obersten
Gerichtshof so eine skandalöse Unkenntnis der Grundlagen zeigt, worauf die
spanische parlamentarische Demokratie ruht.
Wie kann und muss man gegen dieses Beschlusses vorgehen,
werden wir beim nächsten Artikel sehen.
aus dem Spanischen von Eva
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