¿Rechtsstaatlichkeit oder Diktatur des Gesetzes?

Javier Pérez Royo hatte auf ara.cat mehrere Artikel mit der juristischen Betrachtung der Situation in Katalonien um die Amtseinführung des Präsidenten der Generalität veröffentlicht. Wir haben vier dieser Artikel der letzten Tage übersetzt.

Hier ist Teil 1 "¿Estado de derecho o dictadura de la ley?" vom 6. März 2018


¿Rechtsstaatlichkeit oder Diktatur des Gesetzes?

Das Festhalten an nichts anderes als das Gesetz kann nur zu einer „Radikalisierung der Krise führen”

von  Javier Pérez Royo, Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Sevilla



Die Universität de Pau in Frankreich hat ein bekanntes und international anerkanntes Institut für Iberoamerikanischen Wissenschaft. Es veröffentlicht regelmäßig ein Bulletin, das keinen Anspruch hat, die Öffentlichkeit zu erreichen, denn es wird fast ausschließlich auf Universitätsebene verteilt. Es ist eine Publikation von Professoren, die den Dialog unter Professoren einleiten will.

Im diesen Februar ist gerade die neueste Ausgabe erschienen. Dabei, wie es nicht anders sein könnte, nimmt die Reflexion über Katalonien und seine Beziehung mit dem spanischen Staat einen privilegierten Platz. Die französische Professoren identifizieren das katalanische Problem als zur Zeit wichtigstes Problem Verfassungscharakters in der iberoamerikanischen Welt.

Gerade weil es sich um eine eher diskrete Meinung handelt, finde ich es angebracht, darauf in einem Moment solcher Spannung und Verschleierung, wie wir in Spanien diese Frage erleben, aufmerksam zu machen.

Der Leitartikel mit der Überschrift „Le Dialog, seule voie pour surmonter la crise en Catalogne“ [Der Dialog als der einzige Weg, um die Krise in Katalonien zu überwinden], beschreibt eine Chronik der Ereignisse bis zum 21. Dezember im ersten Abschnitt und widmet den zweiten Abschnitt der Analyse der Situation: "Une étape fondamentale dans le dépassement de la crise? [Eine grundlegende Stufe um die Krise zu überwinden?].

Dieser zweite Abschnitt ist der interessantere für die spanischen Bürger, insofern dass der erste uns schon bekannt ist.

In dieser Analyse wird nach der Feststellung, dass die Situation völlig blockiert ist, nachdrücklich erklärt, dass ein Ausweg aus dieser Sackgasse zunächst den Verzicht auf einer „streng rechtlichen Antwort auf das Problem“ erfordert: “Der Ausweg aus der Krise bedeutet vor allem die Logik einer rein rechtlichen Antwort beiseite zu legen und die Betrachtung der wahren Natur des Anspruchs der Unabhängigkeit hinzunehmen”. Mit anderen Worten: Man darf nicht die politische Natur des Problems ignorieren und es auf seine rechtliche Dimension reduzieren.

Der Leitartikel fügt hinzu: Es mag seltsam erscheinen, dass eine juristische Publikation diese These aufrechterhält. Aber der Jurist sollte wohl wissen, dass unter bestimmten Umständen, sich an das Gesetz und nichts anderes als das Gesetz zu klammern, nur zu einer „Radikalisierung der Krise“ führen kann: “Denn Rechtsnormen können nicht allein Rechenschaft über die Substanz und die tiefe Realität des Abspaltungsprozesses geben und dürfen daher nicht die einzige Antwort darauf sein”.

Die demokratische Perspektive darf man nicht außer Acht lassen. “Die demokratische Frage ist von grundlegender Bedeutung: Darf eine Mehrheit sich den auf konsequenter und verifizierter Weise ausgedrücktem Anspruch von Unabhängigkeit einer Minderheitsgemeinschaft, die nicht in der Lage ist, eine ausreichende Maß an Unterstützung unter anderen sozialen Gruppen zu mobilisieren, um die notwendige Schwelle für eine Verfassungsänderung zu erreichen, entgegenstellen? Darf die Mehrheit Einspruch mittels der Verfassung gegen solchen Anspruch erheben, ohne die demokratischen Grundlagen des politischen Regimes in Frage zu stellen, die die Verfassung trägt? Wenn man alles, was legal ist, als demokratisch betrachtet wird, und zwar ohne die oben genannte Realität zu berücksichtigen, besteht nicht etwa die Gefahr, dass man „l'Etat de Droit“ [den Rechtsstaat] in einer wahren „Dictature de la loi“ [Diktatur des Gesetzes] umwandelt?

Der Leitartikel nennt folgende Worte von The Economist, „man darf nicht auf eine im wesentlichen demokratische Frage“ mit einem „übertriebenen Legalismus“ antworten. Zum Schluss weißt der Artikel darauf hin, dass es ohne politischen Verhandlungen keinen Weg aus der Sackgasse geben wird. “¿Sollte nicht die spanische Regierung mit den... vor kurzem von den katalanischen Wählern demokratisch bestätigten politischen Führern in Verhandlungen eintreten?” Das sind die letzten Worte des Leitartikels.

Die Politik geht immer vor dem Gesetz. Das Recht als Alibi sich nicht mit Problemen politischer Natur zu beschäftigen, macht jedes Miteinanderleben unmöglich.


aus dem Spanischen von Eva

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