Nous Republicans - Postkartenbotschaft Nummer 2 von Anna

Nous Republicans werden Briefe mit Botschaften von Menschen aus Katalonien in verschiedenen Sprachen veröffentlichen. Diese sollen im Postkartenformat an Touristen verteilt werden.

 

Wir haben die Anfrage erhalten, diese Briefe ins Deutsche zu übersetzen. Im Rahmen dieser Kooperation findest du hier den zweiten Brief von Anna.



Seit Tagen lese ich die Berichte von Menschen die der Verein #NousRepublicans (Neue Republikaner) veröffentlicht und möchte nun auch meine Geschichte erzählen. Aber ich weiß gar nicht wirklich, wie ich anfangen soll. Ich bin Katalanin, Tochter von galizischen Eltern. Aufgewachsen bin ich in Carmelo, einem Stadtteil Barcelonas, in dem auch viele andere Kinder aus Familien stammen, die aus anderen Teilen des Landes nach Katalonien kamen. Man kann sich vorstellen, dass dort natürlich eine eher pro-spanische Stimmung herrschte, aber es waren auch noch andere Zeiten. Man verdiente sich mehr oder weniger gut seinen Lebensunterhalt und niemand hatte ein Problem damit, Katalane oder Spanier zu sein.

Es gab kaum Befürworter der Unabhängigkeit und noch weniger in meinem Viertel. Meine drei Brüder und ich sind in einer typischen Arbeiterfamilie groß geworden. Doch eines Tages passierte etwas, das mein Leben veränderte.

Mein Bruder Ernesto, der Älteste von uns vier Kinder, musste zum Militär. Er ging im November, und konnte sogar zum Jahresende nach Hause kommen. Es schien ihm gut zu gehen, er erzählte viele Anekdoten und nichts liess vermuten, dass kurz darauf etwas Tragisches passieren würde.

Am frühen Morgen des 9. Januar gegen 2 Uhr, klingelte das Telefon und ich hörte, wie meine Mutter antwortete. Meine Brüder wachten auch auf und wir bekamen mit, dass unsere Mutter bitterlich anfing zu weinen, als sie den Hörer auflag. Wir rannten zu ihr und sie erzählte uns, dass Ernesto einen Unfall erlitten hatte. Wir fuhren nach Saragossa, in die Kaserne in der er stationiert war, wo man uns über seinen Tod informierte. Man habe ihn leblos gefunden, aus dem Bett gefallen, erstickt. Sein Tod wurde weder weiter untersucht, um nicht zu sagen, vertuscht, niemand wurde dafür zur Rechenschaft gezogen, niemand übernahm die Verantwortung.

Wir haben unseren Bruder verloren, er wurde nur 22 Jahre alt. Wenn ich überhaupt an irgend etwas im Leben geglaubt hatte, an diesem Tag hatte ich all diese Hoffnung und das Vertrauen in einen Staat verloren, der einen solch grauenhaften Tod einfach vertuscht.

Von diesem Tag an verschwanden nach und nach jegliches Gefühle von Patriotismus in mir und alles was in irgendeiner Form damit zu tun hatte. Ich war einfach nicht mehr fähig in ein Land zu glauben, dass sich jeglicher Verantwortung des Todes meines Bruders einfach entledigte. Mein Leben ging weiter, ich hatte meine Arbeit, meine Freunde usw aber ich selbst war nicht mir dieselbe, und die Art und Weise wie ich über Vieles dachte hatte sich auch verändert.

Sechs Jahre waren vergangen, seit dem Tag des Todes meines Bruders ist, als ich den Menschen getroffen habe, der auch heute noch an meiner Seite ist. Er war genauso wenig wie ich ein Befürworter der Republik und hatte gerade das Militär verlassen.

Dinge die das Leben schreibt, wer hätte gedacht, dass ich nach all den Geschehnissen einmal ein Ex-Militär zum Partner haben würde. Wir haben viel voneinander gelernt, durch die Erfahrungen, die wir gemacht hatten. Während der mittlerweile 16 Jahren, in denen wir nun zusammen sind, haben wir uns verändert, ich denke ich zum Besseren. Er fasst es zusammen mit dem Wort #Empathie. Heute besitzen wir ein kleines Geschäft, drei Hunde und den grossen Wunsch, in einer katalanischen Republik #Republicacatalana, zu leben, die bereits ausgerufen wurde und die wir alle gemeinsam konstruieren wollen. Es macht mich sehr traurig, dass mein Bruder nicht mehr sehen kann, was wir erreichen werden, daher möchte ich ihm diesen Brief widmen.

Anna


aus dem Katalanischen von Daniel K.

 

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